Anders als sonst bin ich auf diesen Roman nicht durch Rezensionen oder auf eine Empfehlung hin aufmerksam geworden, sondern durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das sich mit dem Roman beschäftigt. Ehrverletzend soll er sein, nach seinem Autor zwar explizit kein Schlüsselroman. Doch der Protagonist sei eindeutig der Schauspieler Gustav Gründgens, ein Opportunist, ein mit-den-Nazis-Anbandler. Gründgens Adoptivsohn strengte einen Prozess an – der Schauspieler und der Autor des Romans Klaus Mann waren da schon beide tot.
Kann man das Allgemeine Persönlichkeitsrecht einer verstorbenen Person verletzen? Man kann, urteilte das BVerfG und verbot die Verbreitung dieser „Schmähschrift in Romanform“ in Westdeutschland.
Anders als die Richter, weil völlig frei von der Notwendigkeit einer juristischen Beurteilung, konnte ich den Roman einfach genießen. Mann schildert hier den Aufstieg des Provinzschauspielers Hendrik Höfgen zum deutschlandweit beliebten Star und Liebling des Dritten Reiches. Ursprünglich mit kommunistischen Ideen sympathisierend, passt sich der wandlungsfähige Höfgen schon bald den neuen Umständen an. Seine persönliche Überzeugung ist wandelbar – ebenso wie sein Freundeskreis. Während der Großteil seiner alten Bekannten im Exil oder gar Konzentrationslager sitzt, speist der Schauspieler mit dem Propagandaminister und dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe und liefert einen brillanten Bühnenauftritt nach dem anderen ab. Seinen persönlichen Höhepunkt erreicht er als Mephisto – dem personifizierten Bösen.
„Mephisto“ bietet neben Höfgen viele interessante Figuren: Da ist die „Schwarze Venus“, die Höfgens masochistische Neigungen befriedigt; seine zarte, aber in ihren Überzeugungen standhafte Frau, die sich mehr und mehr angewidert von ihm abwendet; der zunächst überzeugte, dann enttäuschte nationalsozialistische Jungschauspieler, der Höfgen um jede seiner Rollen beneidet. Mann zeichnet hier das Bild des deutschen Theaters kurz vor und während des Dritten Reiches und schafft Figuren mit Wiedererkennungswert. Seine Aussage, es handle sich nicht um einen Schlüsselroman, ist mutig. Unverkennbar sind jedenfalls seine Beschreibungen nationalsozialistischer Politiker. Ein Auszug:
„Der Propagandaminister – geistiger Herr über das Leben eines Millionenvolkes – humpelte behende durch die glänzende Menge, die sich vor ihm verneigte. Eine eisige Luft schien zu wehen, wo er vorbeiging. […] Die Tanzenden erstarrten mitten in ihrer anmutigen Pose, und ihr scheuer Blick hing, zugleich demütig und haßvoll, an dem gefürchteten Zwerg. Der versuchte durch ein charmantes Lächeln, welches seinen mageren, scharfen Mund bis zu den Ohren hinaufzerrte, die schauerliche Wirkung, die von ihm ausging ein wenig zu mildern.“ S. 40
Klaus Mann schreibt bitterböse und sucht unerbittlich nach den Schwächen seiner Figuren. Ob in ihrer Erscheinung, ihrer Wankelmütigkeit, in ihren amourösen Irrfahrten – man kann sicher sein, dass er sie auch findet. Seinen Protagonisten Höfgen macht er dem Leser garantiert nicht sympathisch, trotzdem erscheint die Figur in ihrer Fehlerhaftigkeit menschlich. Der Opportunist wird von seinem Gewissen gequält, seine nervösen Ausbrüche, sein Minderwertigkeitskomplex, seine absolute Unfähigkeit, jemanden auf Augenhöhe neben sich existieren zu lassen – das alles erklärt Mann dem Leser, lässt ihn die Entwicklung Höfgens begleiten, sodass man ihn zwar nicht liebgewinnt, sich aber an ihn gewöhnt und manchmal auch den Zauber, der auf der Bühne von ihm ausgehen muss, zu spüren scheint. Mann lässt viel seiner persönlichen Theaterkenntnis einfließen, was den Roman zusätzlich interessant macht. „Mephisto“ lebt von seinen Figuren, ganz voran von Hendrik Höfgen. Was ihm nach allem, was ich gelesen habe, durchaus gefallen dürfte.
Klaus Mann, Mephisto – Roman einer Karriere, verschiedene Ausgaben.
Großartiger Roman! Großartiger Autor! Viele Grüße, Petra
Das finde ich nach diesem einen Roman von ihm auch. Bitterböse Ironie und scharfe Beobachtungen. Weitere Bücher von ihm folgen bestimmt irgendwann. Viele Grüße zurück!
Leider nie gelesen! Und doch ist die Story noch ganz präsent, weil ich die Verfilmung kenne. Mit Klaus Maria Brandauer als Höfgen.
Ist schon verrückt, ich bin das erste Mal auf deinem Blog und entdecke ein Buch, dass ich nur aus dem Kino kenne. Du wiederum hast mir vor wenigen Minuten geschrieben, dass du „Die Strasse“ lediglich als Film und nicht als Buch kennst. Ich mag solche Zufälle.
Und „Mephisto“ kommt jetzt auf meine Leseliste. Schöne Grüße!
Das ist wirklich ein Zufall, denn so viele Buchverfilmungen habe ich gar nicht gesehen – zumindest nicht solche, bei denen man eher das Buch als den Film kennt, wie bei „The Road“. Die Verfilmung von Mephisto steht auch auf meiner „Watchlist“ (ich glaube, das Wort wurde schon von einem bekannten Anbieter vergeben). Viele Grüße zurück!
Lange nach dem Film las ich endlich den Roman. Beides war großartig. Mit großen Wirkungen.
Die Verfilmung zu Mephisto habe ich immer noch nicht geschaut. Eine gute Erinnerung, vielleicht etwas für die Feiertage und zum Wiederauffrischen des Gelesenen.