Das erste Kapitel seines Werkes Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts widmet Golo Mann den Grundtatsachen der deutschen Geschichte, nachdem er im Vorwort rigoros mit A.J.P. Taylors These, der deutsche Nationalsozialismus habe sich über Jahrhunderte hinweg angekündigt, aufgeräumt hat.
Mann macht in seinen Betrachtungen über Staat und Nation deutlich, dass es sich auch bei dem Nationalstaat an sich – und er spricht hier nicht nur vom deutschen- um ein ambivalentes Gebilde handelt. Er stellt die Einheit der europäischen Kultur der Vielfalt der Nationen gegenüber und bestätigt eine Interdependenz der Entwicklung der europäischen Nationalstaaten, wobei er Englands Geschichte für ,,glücklicher“ hält als die der kontinentalen Völker. Dabei betont er, dass natürliche Grenzen, wie sie Deutschland ja oft abgesprochen werden -denn Mann hält das Meer im Norden und die Berge im Süden für ebenso natürliche Grenzen, wie sie auch Frankreich oder England besitzen- nicht von allzu großer Bedeutung für die politische Entwicklung eines Landes seien. Deutschland bildet, durch seine geografische Offenheit nach sowohl nach Westen als auch nach Osten die Mitte zwischen Romanen und Slawen, eine Tatsache, die für Deutschlands weitere Geschichte von Bedeutung ist. Die ,,slawische Nachbarschaft“ sowie die ,,Geringfügkeit der See-„, dafür aber eine ,,Weite an Landverbindungen“ stellen somit nach Mann Grundtatsachen der deutschen Geschichte dar.
Im Weiteren liefert Mann einen Abriss der deutschen Geschichte, wobei er besonders das Hl. Röm. Reich als Staat in Westeuropa als vergleichsweise rückständig charakterisiert, und anhand von ,,Luthers Rebellion„ schildert, wie das Reich durch innere Unruhen zuerst von sich Reden machte, um sich nach dem Erstarren der Revolution um 1600 wieder zurückzuziehen. Des Weiteren nimmt Deutschland nicht an der beginnenden Europäisierung der Welt teil, was mit oben genannten schlechten Seeverbindungen zusammenhängt und stürzt sich stattdessen in den Dreißigjährigen Krieg.
Das von Friedrich II. emporgehobene Preußen hingegen stellt keine Grundtatsache der deutschen Geschichte, sondern eine ,,Haupttatsache“ ebendieser.
Einen wertenden Überblick gebend, bietet Golo Mann im ersten Kapitel seines Werkes einen kurzen Abriss der deutschen Geschichte, wobei seine Betrachtungen sich neben politischen auch auf geisteswissenschaftliche Entwicklungen richten, sodass der Königsberger Philosoph Immanuel Kant durch sein Schaffen Deutschlands Position ,,auf dem Gipfel europäischer Geistigkeit“ markiert, während er sich gleichzeitig verachtend über das Mittelalter als eine ,,unbegreifliche Verirrung des menschlichen Geistes“ aussprach.