Er setzt das Elternhaus in Brand- seine schwerkranke Großmutter kann nur mit Mühe vor dem Feuertod bewahrt werden. Er legt einer Katze einen Strick um den Hals und zieht zu, bis das Tier aufhört zu zappeln. Mit sechs Jahren lümmelt er vor Kneipen herum, bereits abhängig von den Drinks, die ihm zur Belustigung der Gäste ausgegeben werden. Und er wird geschlagen, immer wieder, bis aufs Blut, bis zur Bewusstlosigkeit. Das sind Richard Wrights Erinnerungen an seine Kindheit in Mississippi zwischen den Weltkriegen.
Als der brutale Vater die Familie verlässt, arbeitet seine Mutter als Köchin, um Richard und seinen Bruder irgendwie über Wasser zu halten. Doch Hunger ist allgegenwärtig, und Richard verwahrlost zunehmend, sodass er in ein Kinderheim gegeben wird, in dem er ängstlich darauf wartet, dass die Mutter genug Geld spart, um die Familie zur Großmutter in die Kleinstadt Jackson zu bringen. Er flieht, wird zurückgebracht. Bei der Großmutter erwartet ihn strenge Religiosität, die nahtlos in Fanatismus übergeht. Irgendwann dann beginnt Richard Fragen zu stellen: Wer seine verstorbenen Großeltern waren; warum die Weißen ihn „nigger“ nennen. Nach und nach wird er sich seiner kulturellen Identität bewusst- und auch der damit verbundenen Diskriminierung. In einem Klima der Gewalt liefert er sich Straßenschlachten mit weißen Jungengangs und muss die Schule aufgrund häufiger Umzüge in immer kleinere Wohnungen und schmutzigere Gegenden oft abbrechen. Nur heimlich kann er sich Bücher und Zeitschriften beschaffen, die ihn eine Weile lang in andere Welten entführen, denn seine Großmutter verbietet alles „Teufelswerk“. Gegen seinen Willen wird er getauft, er nimmt Jobs an, die ihn erniedrigen. Immer wieder bringt er sich in Schwierigkeiten, denn er vergisst oft „den Kopf zu senken und dümmlich zu lächeln“, so wie es die Weißen von ihm erwarten. Richard stößt auf eine Mauer des Schweigens innerhalb seiner Familie, aber auch bei seinen Altersgenossen, wenn immer er nach den Gründen der Rassentrennung, der unmenschlichen Diskriminierung fragt. Nur Wut baut sich in ihm auf, so oft er von ungerechtfertigten Strafen, von Morden an Afroamerikanern hört. Dann beginnt er zum Unverständnis seiner Freunde und Familie mit dem Schreiben, und hat einen Traum, der ihn alle Strapazen aushalten lässt: Er will in den Norden reisen, der Gewalt entfliehen und Schriftsteller werden.
Richard Wrights Autobiografie „Black Boy“ ist beides: erschreckend, aber auch unglaublich mitreißend. Gleich zu Beginn, in den ersten Zeilen muss der Leser in ein Klima der Gewalt eintauchen, dass Richard schon in den frühesten Jahren seiner Kindheit geprägt hat. Im Nachhinein erstaunlich ist die Genauigkeit, mit der der Autor seine Kindheitserinnerungen als vier- oder fünfjähriger Junge zu schildern vermag und die teils grausamen Umgangsformen innerhalb der Familie, der Schule und schließlich im öffentlichen Leben.
Mit seiner Wortwahl und seiner Schonungslosigkeit lässt Wright den amerikanischen Süden der 20er und 30er auferstehen, sodass der Leser froh ist, zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort geboren worden zu sein. Der spielende Wechsel zwischen Straßenslang und Analysen der eigenen Situation zur damaligen Zeit zeigen, wie tiefgehend sich der Autor mit seiner eigenen Vergangenheit und der Geschichte der Rassendiskriminierung in den USA auseinandergesetzt und vor allem, wie tief sie ihn geprägt hat.
Hat man sich als Leser eher flüchtig mit dem Thema befasst, kennt Martin Luther King oder Rosa Parks, so sieht man sich hier mit einer Zeit konfrontiert, in denen nicht einmal der Hauch von Gleichberechtigung durch den Süden wehte und an ein Aufbegehren nicht einmal gedacht wurde. In dem 1945 erschienenen Werk erfährt man außerdem etwas über amerikanische Persönlichkeiten zu einer Zeit, als Europa mit dem Wiederaufbau beschäftigt war. Der Leser macht Bekanntschaft mit dem Journalisten Henry Louis Mencken und erfährt, was Jim Crow im täglichen Leben bedeutete. Deshalb führt auch Wrights Weg in den Norden nach Chicago und schließlich, doch das ist schon nicht mehr Teil der Autobiografie, die kaum bis zu seinem Erwachsenenalter reicht, nach Europa.
„Black Boy“ ist auch die Geschichte eines Außenseiters, der mit seinen begrenzten Möglichkeiten oft unglaublich mutig handelt und zeigt, dass der Glaube an Gerechtigkeit und an ein besseres Leben einen Menschen auch bei Hunger, Krankheit und Leid aufrecht erhalten kann.
Der Autor
Richard Wright wurde 1908 auf einer Plantage in Mississippi geboren; seine Autobiografie „Black Boy“ erschien 1945 und avancierte zum Bestseller. Sie wurde 1995 unter gleichem Titel verfilmt. Wright selbst starb 1960 in Paris.
Richard Wright „Black Boy- record of a childhood and youth“, vintage classics 2000, 272 S., ca 10€
Geschichte der USA, Rassismus, Werdegang Richard Wrights
3 Gedanken zu „Richard Wright: Black Boy“