„Die Bastardin“ erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die als uneheliche Tochter eines Sohnes aus gutem Hause und einer Magd bei Mutter und Großmutter aufwächst. Von wiederkehrenden Krankheiten gezeichnet, besucht sie nur unregelmäßig die Schule und verlässt schließlich, als ihre Mutter heiratet und ihren Bruder zur Welt bringt, das Haus ihrer Kindheit. Ihr Weg führt sie vom Land ins Paris der Vor- und Zwischenkriegszeit. Ihre Mädchenjahre hindurch unterhält sie Liebschaften mit Internatsgenossinnen und kann sich, den Verlockungen Paris‘ vollständig erlegen, nicht entscheiden zwischen ihrer Freundin, einem interessanten Mann und schließlich ihrem homosexuellen Gönner, den sie innig verehrt.
Wesentlichkeiten in Halbsätzen
Durch „Wie die Franzosen die Liebe erfanden“ bin ich auf das bereits 1964 erschienene autobiografische Werk Violette Leducs (1904-1972) aufmerksam geworden. Mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir versehen, erwartet den Leser Großes. Schon während der ersten Seiten lässt sich erahnen, warum de Beauvoirs Vorwort so verklausuliert, so umfassend geworden ist. Die Autorin Leduc schildert ihre Jugend grob chronologisch, verweist dabei aber immer wieder auf ihre früheren – ebenfalls autobiografischen – Werke, was das Lesen ohne Vorkenntnis beträchtlich erschwert. Hinzu kommt, dass ihre Sprache sehr umschreibend ist, Wesentlichkeiten werden in Halbsätzen versteckt, sodass sich ihre Wichtigkeit nicht immer gleich erschließt. Wenn dann hunderte Seiten später auf eben jene Ereignisse Bezug genommen wird, lässt sich schlussfolgern, dass jene Schilderung wohl bedeutsam für Leducs weiteres Leben gewesen sein muss.
Sie wirft sich ihnen zu Füßen, bettelt, erniedrigt
Das Innenleben der Protagonistin ist gelinde gesagt schwierig. Starke Gefühlsschwankungen, die sich ausdrücken in Beschreibungen wie „die Wimpern der Rinder deprimierten mich“, sind für den geneigten Leser interessant. Das Mitfühlen jedoch würde einen Kraftakt bedeuten, den man nicht jedem Leser zumuten will. Trotz etlicher Längen, trotz des starken Wunsches, die Autorin möchte doch jetzt einmal Klartext schreiben, fasziniert das Leben der Violette Leduc ungemein. Mit traumwandlerischer Sicherheit umgibt sie sich mit Personen, die mindestens genauso labil und wankelmütig erscheinen wie sie selbst. Sie wirft sich ihnen zu Füßen, bettelt, erniedrigt sich und andere, beleidigt, liebt. Die geschilderte Gefühlspalette dieser Erzählung geht über das hinaus, was Autoren heutzutage einem Leser zumuten würden. Als Leser bringt man nicht immer Wohlwollen, selten Mitleid für die Protagonistin auf. Manchmal sympathisiert man mit den anderen Figuren. Violettes Freundin Hermine zum Beispiel, der, so scheint es am Ende, Violette einfach zu anstrengend, zu kompliziert geworden ist mit ihrer Anhänglichkeit, ihrer Wut und ihren suizidalen Tendenzen, die sie letztendlich stets als Erpressung benutzt. Neben all den Figuren, unter denen sich auch viele Personen der Zeitgeschichte wiederfinden, die die Autorin kennengelernt hat, spielt Paris die Rolle einer eigenen, bedeutsamen Figur. Es wandelt sich mit Violette, wird mal als traumhaft schön beschrieben, dann wieder als Stadt, die die Protagonistin schnell hinter sich lassen möchte. Es schwankt zwischen Exzess und Biederkeit, Überfluss und bitterer Armut. Es kommt der Verschwendungssucht der Protagonistin entgegen oder zeigt ihr in aller Deutlichkeit, was sie nicht haben kann. Frankreichfreunde werden besonders die vielen genannten Orte, die bekannten Cafés und Straßen, Quartiers, Designer und nicht zuletzt die damaligen Berühmtheiten der Literaturszene begeistern.
Fazit
„Die Bastardin“ ist beileibe kein Buch für zwischendurch. Manchmal wird man es zur Seite legen, um über die Protagonisten-Autorin seinen Kopf zu schütteln. Man wird erschreckt sein, wie Menschen sich gegenseitig ins Unglück stürzen können, obwohl es ihnen objektiv so gut gehen könnte. Man wird Leduc dafür bewundern, zu jener Zeit so offen ihre lesbische Sexualität beschrieben zu haben. Zum Schluss wird man sich dann vielleicht mit Violette Leduc versöhnen, weil man ihr zumindest eines nicht absprechen kann: eine interessante Frau zu sein.
Violette Leduc, Die Bastardin (OT: La Bâtarde), Rowohlt 1978, 411 S.
Ein Gedanke zu „Violette Leduc: Die Bastardin (1967)“