Nicht in Staaten, nicht in Religionen – in diesem Buch wohnt der Extremismus im Menschen.
Die Geschichte von „Gottes kleinem Krieger“ nimmt seinen Anfang in der indischen Oberschicht. Die Kindheit von Zia Khan wandelt sich rapide, als der Vater unverschuldet sein Vermögen verliert und die Familie ungewollt in das hektische Leben einer indischen Großstadt eintauchen muss. Von seiner Tante, einer gläubigen Muslima, lernt Zia, hingebungsvoll zu Gott zu beten. Dabei schreckt er auch vor Selbstgeißelung nach schiitischem Ritus nicht zurück. Schnell stellt sich heraus, dass Zia über eine ungewöhnliche Begabung im Umgang mit Zahlen verfügt. Eine Freundin der Familie aus England hält schützend ihre Hand über ihn, sodass er nach einem indischen Elite-Internat ein Studium in Cambridge beginnen kann. Doch während er das Studium mit links erledigt, hadert er immer wieder mit sich und seinem Glauben, bis er sich schließlich in die Idee verrennt, dass Gott ihn den Autor Salman Rushdie töten lassen will.
Zia flieht nach Kashmir, wo er eine Gruppe Dschihadisten im Kampf gegen die indische Armee führt. Doch hier nimmt sein Leben eine Wende. Überzeugt, gesündigt zu haben und im Glauben, eigentlich katholisch getauft worden zu sein, setzt er sein Leben als Mönch in den USA fort. Unter neuem Namen kämpft er gegen die Abtreibungsgesetze, koordiniert Protestaktionen und schreckt auch hier vor Mord nicht zurück. Er gründet Waisenhäuser und baut eine gesellschaftliche Parallelstruktur auf. Das Geld dafür beschafft er als Börsenspekulant und Waffenhändler. Schließlich gerät er unter den Einfluss eines indischen Tantrikers, wechselt erneut seinen Namen und kann doch nicht länger vor seiner Vergangenheit fliehen.
Was sich wie eine abenteuerliche Aneinanderreihung abstruser Ereignisse liest, wird in „Gottes kleiner Krieger“ zu einer runden Geschichte verflochten. Kiran Nagarkar versucht in Romanform nachzuzeichnen, wie Fanatismus entsteht und zeigt dabei auf, dass er im Menschen selbst und nicht etwa in einer Religion begründet liegt. Sein Protagonist ist in allem, was er tut extrem, egal, ob es um sexuelle Exzesse in seiner Jugendzeit, das Lernen an der Universität, das Versinken in einer Depression oder eine andere Wendung in seinem Leben geht. Nur sein Bruder Amanat hält trotz aller Widerstände Briefkontakt zu Zia, zeigt ihm seine Schwächen auf und vergleicht sein Leben, in dem bei Weitem nicht alles nach Plan läuft, mit dem seines Bruders. Doch alle, die Umgang mit Zia pflegen, werden unweigerlich in den Strudel der Gewalt, den er immer wieder aufs Neue in Gang setzt, hineingezogen. Mit seiner überheblichen Selbstgerechtigkeit verprellt er die Menschen, die ihm wohlgesonnen sind und lässt sie, wie seine Verlobte, in Verzweiflung zurück.
Nagarkars Roman ist besonders wegen seiner nicht abflauenden Aktualität interessant. Aufgrund der abenteuerlichen Wendungen im Leben des Protagonisten fühlt man sich häufig an eine Parabel auf den Fanatismus erinnert. Aber trotz der abwechslungsreichen Geschichte hat der Roman seine Längen: Die ausschweifenden Briefe Amanats an seinen Bruder passen zwar gut zur Beschreibung von dessen Figur, nehmen dem Roman aber viel von seiner Schnelligkeit und machen ihn langatmig. Außerdem schafft der Autor eine verschwindend geringe Zahl sympathischer Figuren, was die Identifikation mit den Charakteren erschwert. „Gottes kleiner Krieger“ ist daher eine Empfehlung für alle, die sich vor Länge nicht fürchten und vor ernstem Hintergrund in verschiedene Welten eintauchen wollen.
Kiran Nagarkar, Gottes kleiner Krieger (OT: God’s little soldier), A 1 Verlag 2006, 696 S.