Verena Friederike Hasel: Lasse

LasseDie Geschichte eines beängstigenden Charakters, der einen auf der Straße anlächeln könnte – man würde zurücklächeln.

Die Studentin Nina wird von Lennart operiert, verliebt sich in ihn und will sich mit ihm verabreden. Lennart hat sich gerade von seiner Freundin getrennt und lässt sich daher zunächst nur allzu gern auf sie ein. Nina lebt in den Tag hinein, schiebt ihre Prüfungen vor sich her, ansonsten schläft mit ihrem Professor und zieht ihr Selbstbewusstsein eigentlich ausschließlich aus ihrem Aussehen. Als sie nach kurzer Zeit von Lennart schwanger wird will er das Kind nicht. Sie will es, will ihren Sohn Lasse, um Lennart an sich zu binden – und damit nimmt ein Unglück seinen Lauf.

Die Geschichte wird aus Ninas Sicht erzählt, daher ist es bemerkenswert, dass sie bereits nach den ersten Seiten als  unsympathische Protagonistin, die stiehlt und heimlich die Tagebücher ihrer Freundin liest, auftritt. Doch die fehlende Sympathie für die Protagonistin verwandelt sich schnell in einen Kloß im Hals und das ungute Gefühl, dass sie nicht einfach unsympathisch ist, sondern das bei ihr etwas grundlegend schief läuft.
Die Autorin arbeitet mit kurzen, klaren Sätzen. So passiert es an einigen Stellen, dass ein einziger Satz ausreicht, um schlagartig Klarheit über das Ausmaß von Ninas Verhalten zu gewinnen. Die Schilderungen sind subtil; lange wird nicht deutlich, wie sehr sie klammert und in ihrem Kopf schon eine Beziehung mit Lennart führt, die aus seiner Sicht nicht existiert. Hin und wieder werden Passagen über ihre Kindheit und das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter eingeflochten, aus denen man schließen kann – der Leser ganz als Hobbypsychologe – woraus ihr beängstigendes Verhalten wohl resultiert.
Zu alldem kommt der Druck des perfekten Mutterseins, der sich hier in der Prenzlauer-Berg-ähnlichen Umgebung Ninas manifestiert und sich in der Pediküre für werdende Mütter, Mutter-Kind-Cafés und Hypno-Birthing-Kursen, Kinderwagen vom Preis eines Kleinwagens und der ständigen Kontrolle durch andere „bessere“ Mütter, zeigt. Ein Ort, an dem Helikopter-Eltern voll auf ihre Kosten kommen also. Aber Nina will unbedingt dazu gehören, um jeden Preis. Obwohl ihr das Geld fehlt. Und sie ihr Baby überhaupt nicht mag.

„Lasse“ schafft es durch seine subtilen Schilderungen, dem Leser einen Schauer nach dem anderen über den Rücken zu jagen. Es knüpft an die derzeit wieder verstärkt geführten Debatten über das Eltern- und besonders Muttersein an (Stillen? Impfen lassen? Plastikspielzeug?), überzeichnet sie und verwebt alles zu einer fesselnden Geschichte. Eine Empfehlung.

Verena Friederike Hasel, „Lasse“, ullstein 2015, ISBN-13 9783550080937, 208 S., 18,00€.

5 Gedanken zu „Verena Friederike Hasel: Lasse

  1. Sehr gute Rezension zu einem erschütternden und nachhaltig bedrückenden Buch, das den Leser Schritt für Schritt und gnadenlos dem Verhalten einer offenbar psychisch gestörten jungen Frau und hoffnungslos überforderten Mutter ohne jegliche hilfreiche Unterstützung folgen lässt, sodass letztlich – trotz des Schreckens – ein Ansatz des Verstehens möglich ist. Wie Sie m. E. sehr richtig feststellen, sind die Darstellungen der „Supermütter“, die für ihre Kinder schon vor der Geburt sämtliche verfügbaren Kurse belegen und alles,alles, alles richtig machen, zwar überzeichnet, aber ein diskussionswürdiges Thema wäre das allemal. Ebenso wie das Verhalten von Lennart, von Familie und Freunden. – Herzlichen Dank für diese treffende Besprechung des Buches!

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