VIII. Augustinus oder Die Dienlichkeit der Sünde

Mit Augustinus von Hippo (354–430 n. Chr.) beginnt Weischedel seine Betrachtungen über christliche Philosophen. Augustinus spielt dabei eine besondere Rolle, denn durch seine Ansichten und sein Denken wird der Unterschied zu seinen antiken griechischen und römischen Vorgängern besonders deutlich.

In seiner Jugend sei Augustinus ein ziemlicher Herumtreiber gewesen, so Weischedel. Seine vielen Liebschaften und seinen großen Ehrgeiz, sich in der Rhetorik-Ausbildung ganz besonders hervorzutun, bereut Augustinus jedoch kurz nachdem er sich im Alter von 33 Jahren taufen lässt. Fortan zieht sich der weltgewandte Mann zurück und gründet ein Laienkloster. Später wird er Bischof von Hippo, einer antiken Küstenstadt im heutigen Algerien.

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Augustinus‘ Philosophie zeichnet sich laut Weischedel besonders dadurch aus, dass er sich selbst als Menschen zum Gegenstand seines Nachdenkens macht. Diese Wendung zur Innerlichkeit läute eine neue Epoche der Philosophie ein und beende jene der griechischen Philosophen, die den Menschen als Teil des Kosmos begreifen und die Natur zum Gegenstand ihrer Überlegungen machen. Augustinus kommt beim Hadern mit den Verfehlungen seiner Jugend zu dem Schluss, dass der Mensch in Verkehrung lebe und sich danach sehne, diesen Zustand zu beenden. Was er dabei unter „Verkehrung“ versteht, geht aus Weischedels Text nicht genau hervor. „Verkehrung“ scheint als allgemeiner Zustand der Sündhaftigkeit verstanden zu werden.

Augustinus durchläuft das philosophische Denken seiner Vorgänger, akzeptiert dann aber die Lehre von der Erbsünde und trifft in seinem weiteren Denken stets die Prämisse, dass der Mensch – ursprünglich gut geschaffen – durch die Sünde Adams von Geburt an sündhaft sei. Ihm stellt sich dann das Problem, dass der Mensch ja gar nichts könne für seine Verkehrtheit, wenn diese von der Erbsünde bestimmt ist. Er ist nicht verantwortlich, nicht frei. Aber Sünde müsse doch als Schuld verstanden werden, anders werde sie ihrer Bedeutung beraubt. Wie kann der der Mensch aber schuldig sein, ohne verantwortlich zu sein? Hier treten die Freiheit des Menschen und der Gedanke der Erbsünde gegeneinander an.
Während Augustinus in seinem frühen Denken die Eigenverantwortlichkeit des Menschen betont, spricht er sich bald gegen eine solche „Erhöhung“ des Menschen, die diesem zu viel Freiheit zuspreche, aus. Er geht von einer Unerfassbarkeit Gottes aus und kommt zu dem Schluss, dass ein vernünftiges Nachdenken zu keinem sicheren Wissen über Gott führen könne. Letztlich habe er im Glauben zu leben. Damit wird der Glaube dem Denken übergeordnet; wahre Einsicht sei vom Glauben abhängig.

Augustinus führt seinen Gottesbeweis so: Der Mensch erkenne beim Hineinblicken in sich selbst, dass es Wahrheit gebe. Wahrheit brauche aber einen Maßstab. Um zu entscheiden, ob die Vernunft innerhalb der Wahrheit liege, müsse der Maßstab der Beurteilung zwangsläufig höher sein als diese. So schließt Augustinus, dass Gott der Maßstab der Wahrheit sein müsse.
„Spuren“ Gottes findet Augustinus, wenn er die Dreifaltigkeit Gotts in anderen Dingen erblickt: So bestehe der Mensch aus Gedächtnis, Willen und Einsicht. Alles Wirkliche bestehe aus drei Seiten: Es sei es selbst, unterscheide sich von einem anderen und stehe gleichzeitig mit diesem in Beziehung. (Hier frage ich mich beim ersten Lesen, ob nicht eine Redundanz besteht. Ist eine Unterscheidung von einem anderen Ding nicht zugleich eine Art Beziehung zu diesem?)

Beim Vergleich mit anderen Philosophen, von denen ich in den vorangegangenen Kapiteln Weischedels erfahren habe, ist mir ein eklatanter Unterschied zu diesem großen christlichen Denker aufgefallen: Augustinus trifft Vorannahmen, an denen sich die antiken Philosophen abgearbeitet haben aus seinem christlichen Glauben heraus: Gott existiert. Gott hat die Welt erschaffen. Die Erbsünde existiert. Diese Zurückstellung des Denkens hinter den Glauben ist neu, daran muss man sich nach der Beschäftigung mit den Philosophen der früheren Jahrhunderte erst einmal gewöhnen.

Quelle: Wilhelm Weischedel, Die philosophische Hintertreppe, 30. Auflage, München 2000, S. 77–85.

Bildquelle: Wolfgang Sauber – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11580391

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