L. Frank Baum: Der Zauberer von Oz (1900)

Dieses Märchen ist in meiner Kindheit fast völlig an mir vorüber gegangen. Grob konnte ich mich an ein kleines Mädchen erinnern, auch eine Vogelscheuche war da irgendwo. Dass „Der Zauberer von Oz“ sich als so fantasievolle, auch nicht aufdringlich lehrreiche und kunterbunte Geschichte entpuppen würde, die sich als Erwachsener mit Schmunzeln lesen lässt, hätte ich nicht gedacht.k800_oz

Darum geht’s

Für alle, an denen die Geschichte ebenfalls bislang  größtenteils vorbeigegangen ist: Die kleine Dorothy wird im Auge eines Zyklons ins Land Oz getragen. Dort landet sie – mitsamt ihres Hauses – auf der herrschenden bösen Hexe (großartig im Original: „Wicked Witch“). Das nunmehr befreite Volk der Munchkins weist ihr nur allzu gern den Weg zum Großen Zauberer Oz, der einzige, der sie und ihren Hund Toto zurück ins heimatliche Kansas bringen kann. Auf dem Weg in die seine Smaragdstadt trifft Dorothy auf eine hirnlose Vogelscheuche, einen herzlosen Blechmann und einen feigen Löwen. Gemeinsam machen sie sich auf den gefährlichen Weg zum Zauberer und wollen ihn um die Dinge bitten, die ihnen fehlen. Doch ob Oz der ist, für den sein Land ihn hält? Dorothy und ihre Freunde sind die ersten, die es herausfinden.

Wortwitz und geflügelte Affen

Dieses längere Märchen ließ sich auch im englischen Original wunderbar flüssig lesen. Durch Wiederholungen, die wohl erst beim Vorlesen ihre volle Wirkung entfalten, erzeugt Baum Wortwitz und lässt auch den erwachsenen Leser schmunzeln. Stellenweise ist die Handlung recht brutal, so wird dann und wann ein Rudel Wölfe geköpft, auch sollen geflügelte Affen ertränkt werden.

Diktatorische Hexen versklaven unschuldige Völker; Tyrannenmord ist erwünscht, Hochstapelei die Staatsmaxime von Oz. Dazu die wichtige Moral, dass man einen klugen Kopf, ein gutes Herz oder großen Mut nicht geschenkt bekommt, sondern in sich trägt und nur nutzen muss. Der Glaube an sich selbst ist entscheidend.

Eine Geschichte voller Allegorien

Dabei finden sich zahlreiche Allegorien: Die aufrichtige, empathische Dorothy soll die US-Bevölkerung symbolisieren; die böse Osthexe den schlechten finanziellen Einfluss der Ostküste, durch den die einfachen Amerikaner (die Munchkins) unterdrückt werden. Die Vogelscheuche wird als ungebildeter, dafür aber sehr pragmatischer Farmer verstanden; der Blechmann als Industriearbeiter, denen man zwar Herzlosigkeit nachsage, die in Wirklichkeit aber stets hilfsbereit seien. Deren Deutungen gibt es viele und es hat großen Spaß gemacht, nach der Lektüre darauf zu stoßen und sie für mal mehr, mal weniger nachvollziehbar zu halten. (Der Hochstapler Oz soll übrigens den damaligen US-Präsidenten McKinley symbolisieren.)

Der Zauberer von Oz – Ein kindgerechtes Märchen?

Nach der Lektüre kann man die Diskussion, ob die Geschichte überhaupt kindgerecht ist, gut nachvollziehen, denn an Gewalt wird nicht gespart. Da wird dann kurzerhand ein ganzes Wolfsrudel mit der Axt geköpft. Als erwachsener Leser kann man das Märchen trotzdem genießen. Man wundert sich zwar hin und wieder über die genreunübliche Genauigkeit und stolpert dann über allzu schnelle Handlungsabfolgen, doch insgesamt sprüht die Geschichte nur so vor Fantasie und für die Zeit neuen Ideen. Ich jedenfalls bin gespannt, russische Adaptionen und die Umsiedlung der Geschichte nach Harlem („The Wiz“) kennenzulernen.


L. Frank Baum, Der Zauberer von Oz (OT: The Wonderful Wizard of Oz), verschiedene Ausgaben. Online kostenlos verfügbar u. a. in Deutsch und Englisch.

Dieses Buch ist Teil meiner Klassiker-Leseliste.

 

5 Gedanken zu „L. Frank Baum: Der Zauberer von Oz (1900)

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