Leipziger Buchmesse 2017: Die Nachlese

Die Leipziger Buchmesse ist vorbei, noch schmerzen die Füße und die Erinnerungen sind frisch und präsent. Daher eine Messenachlese.

Die Buchmesse wird politischer
Im Vergleich zum letzten Jahr ­­– und das ist, wie auch der Rest hier ein ganz subjektiver Eindruck – erschien mir die diesjährige Messe viel politischer zu sein als ihre Vorgängerin. Natürlich stand das Kriegsland Syrien im Mittelpunkt, hier gab es viele Vorträge und Lesungen mit syrischen Autoren. Auch ich freue mich schon auf Niroz Maleks Der Spaziergänger von Aleppo, das geduldig auf meinem Schreibtisch wartet. Daneben waren 20170324_094031aber auch viele weitere Konfliktherde Thema: Das Gesprächsforum Café Europa bot im
Halbstunden- und Stundentakt eine interessante Veranstaltung nach der anderen. Ich habe mir mit Interesse die Podiumsdiskussion von Kateryna Mishchenko, Aleksander Skidan und Serhij Zhadan angehört, die mithilfe von Dolmetschern über die schwierige Situation für Künstler in der Ukraine und in Russland sprachen. Der Konflikt ist in den Medien in den Hintergrund gerückt, gerade so als habe man sich schon mit den geschaffenen Tatsachen abgefunden; das genau dies von russischer Seite aus forciert zu werden scheint, darüber sprach der Schriftsteller Aleksander Skidan ausführlich. Da weitgehend Einigkeit darüber herrschte, dass in beiden Staaten die Zivilgesellschaft gestärkt werden muss, war das Gespräch weniger Diskussion als vielmehr informativer Vortrag von unmittelbar Betroffenen. Im Publikum fanden sich überwiegend Zuhörer im Seniorenalter oder aber in den Zwanzigern. Gerade so, als sei Europa eine Sache dieser beiden Altersgruppen. Diese Momentbeobachtung war aber gewiss nicht repräsentativ für alle Veranstaltungen im Café Europa.

Litauen und die Welt
Besonders spannend sind die Länderstände, mit Literatur in der Landessprache im Gepäck. Der koreanische Musikpavillon war ein Ruhepol im hektischen Messetreiben; Norwegen, Finnland, Schweden und Island schlossen sich gleich zusammen und präsentierten im Nordischen Forum ihre Literatur. Besonders gefreut hat mich, dass das Schwerpunktland Litauen so gut anzukommen schien. Mit einem besonders großen Stand 20170324_1544051.jpgin der Hallenmitte präsent, erkannte ich dort all die Werke wieder, zu denen hier zuvor gelesen und geschrieben worden war. Als mir dann die Broschüre zu litauischer Literaturgeschichte ins Auge fiel, konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen: Erst zwei Wochen zuvor hatte ich die Tiefen des Internets zu genau diesem Thema durchkämmt und mich über jedes Fitzelchen Information gefreut. Jetzt hatte ich Informationen; so schnell, so kompakt.

Danach verschlug es mich ins (auch auf der Messe) nahe gelegene Lettland, das mit einem ungleich kleineren Stand u. a. wunderschön illustrierte Kinderbücher bot. Schwierig sei es, lettische Bücher bei deutschen Verlagen unterzubringen; bei britischen fiel es jetzt leichter. Kein Wunder, denn die Londoner Buchmesse macht im nächsten Jahr die Literatur der baltischen Staaten zum Mittelpunkt. Hier sei unbedingt auch auf die baltic sea library, eine wachsende online-Textsammlung aus dem Ostseeraum, hingewiesen.

Ein wenig enttäuscht war ich vom ungarischen Stand, der zwar eine kunstvolle und kreative Einführung in die Bedeutung des Leerraumes zwischen den Worten bot. Ich hätte trotzdem lieber ungarische Bücher gesehen.
Einen näheren Blick sollte man in nächster Zeit unbedingt nach Georgien werfen: Die Vorträge zu georgischer Dichtung im Allgemeinen und zur Stadt Tiflis im Besonderen machen Lust auf den dicken Katalog georgischer Neuerscheinungen im deutsch- und englischsprachigen Raum.

Schlurfende Schritte und starrer Messeblick: Es ist wohl schon nach vier
Am Samstagmorgen hatte ich das Glück, über die zeitgleich zur Buchmesse stattfindende Manga-Comic-Con flitzen zu können. Es war wie ein Eintauchen in eine Parallelwelt, in der alles bunt, süß und mit Rüschen besetzt zu sein scheint (wenn man die lebensgroßen Figuren der Alien-Filme außer Acht lässt). Für die Cosplayer ist die Messe definitiv ein Highlight im Jahresplan und es waren viele echte Hingucker-Kostüme dabei, mit denen auch mein exzentrischstes Messeoutfit (rote Schuhe) nicht mithalten konnte. Doch auch dieser bunte Teil des Publikums war froh, draußen in der Nachmittagssonne die müden Füße ausruhen zu können.

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Der Fantasy-Autor Matthias Teut hatte das Unglück, am späten Samstagnachmittag in mir zwar eine interessierte potentielle Leserin, dafür aber nach drei Messetagen eine auch hundemüde sich dahin schleppende Messebesucherin vor sich zu haben. Seine High-Fantasy-Welt Erellgorh klang gut ausgearbeitet, die Geschichte spannend, die kolorierten Bilder waren wunderschön – und zudem ist der Autor noch für den Deutschen Phantastik Preis 2017 nominiert. Trotzdem wurde ich beim Gedanken, seine beiden Bücher durch die Hallen tragen zu müssen gleich noch müder. Ich versprach, beim Phantastik-Preis online für ihn abzustimmen und beschloss, den Samstag in eine Ecke des Café Puschkin gekuschelt bei einer Lesung von Arno Dahmers Erzählungen Manchmal eine Stunde, da bist Du ausklingen zu lassen. Eine gute Entscheidung.

Bookster & Blogger, Marketing & Social Media
Ein neues In-Wort geisterte über die Buchmesse: Bookster. Nach meinem Verständnis jemand, der hobbymäßig irgendwas mit Büchern macht…? Korrigiert mich. Von den organisierten Bookster-Blogger-Veranstaltungen der großen Verlage habe ich keine mitgenommen; dafür habe ich zwei Messevorträgen gelauscht. Der erste beschäftigte sich mit Social Media-Nutzung und Literaturbloggern aus Autorensicht: „Schreibt den Bloggern doch einfach eine E-Mail und bittet sie, euer Buch zu besprechen.“ Guter Tipp, ich war erstaunt, dass viele Neuautoren mit dem Begriff „Literaturblogger“ gar nicht viel anfangen konnten. Da merkt man erst, wie sehr man in seiner eigenen Bloggerblase lebt.
Die zweite Veranstaltung war eine gut besuchte Gesprächsrunde zum Thema Urheberschutz/Bildrecht beim Bloggen. Hier zeigte sich auch das wahre Gesicht des Literaturbloggers (zumindest von hinten, wo ich stand): Dreiviertel der Zuhörer waren weiblich, brünett und zwischen 15 und 40 Jahren alt. Hm.
Hier merkte ich auch, wie winzig klein mein Blog im Gegensatz zu anderen ist, die sich mit Werbeterminen großer Verlage und Massen an unfreiwillig zugesandten Rezensionsexemplaren rumschlagen und selbst schon mit QR-Code-Shirts die Werbetrommel für ihren Blog rühren. Puh.

Als die Füße sich dann am Sonntagabend auf dem Balkon gen Abendsonne streckten und ich zum ersten Mal seit Tagen entspannt ein Buch las, wusste ich: Die Leipziger Buchmesse ist gigantisch, phänomenal und toll – aber gut, dass sie nur einmal im Jahr stattfindet.

4 Gedanken zu „Leipziger Buchmesse 2017: Die Nachlese

  1. Liebe Jana, vielen Dank. Das ist der bisher angenehmste erste Eindruck von der Leipziger Buchmesse. Ein unaufgeregter Rundumblick.
    Im Übrigen gefallen mir die kleinen Literaturblogs oder zumindest die mit einem eigenen Charakter und nicht der immer gleiche Trivialliteratur wesentlich besser, als die grellen und teils lauten und durchgestylten Massenblogs (wenn man davon bei Literatur überhaupt sprechen kann) weitaus besser.
    Herzliche Grüße

    1. Lieber Sascha, vielen Dank für dein Lob! Ich lese auch fast nur kleine Blogs, hier gibt es immer etwas abseits der Bestsellerliste zu entdecken. Aber ich würde lügen, würde ich behaupten, mich nicht über jeden Leser/ jede Leserin zu freuen. Aber das gehört wohl auch dazu. Herzliche Grüße zurück!

    1. Ja, ich denke, das ist bei vielen Schreibern ein Zeitproblem. Auf der Buchmesse gab es auch einen Vortrag zum Thema „Schreiben neben Beruf und Alltag“, der sich aber eher an Buchautoren richtete.

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