57 kurze Texte, oftmals nur eine halbe Seite lang, die Aleppo zeigen, wie es heute ist. Zerstört, fremdbestimmt, gefährlich. Zwischen Stromausfällen und Explosionen wohnen hier noch Menschen wie der 1946 geborene Schriftsteller Niroz Malek. Sie sind hier, weil sie wollen, nicht, weil sie nicht anders können. Seine Familie ist mittlerweile geflohen; viele seiner Verwandten haben in Deutschland Zuflucht gefunden. So auch seine Tochter, die die französische Ausgabe in eine rheinischen Buchhandlung mitbrachte und dort auf den Verleger Stefan Weidle traf. Ein Foto, ein Entschluss – so findet das Buch jetzt auch deutschsprachige Leser.
Musik für die Augen
Eigentlich möchte man, dass einem jede einzelne dieser 57 Miniaturen vorgelesen wird. Damit sie wirken. Damit man nicht mit den Augen schnell über den Schrecken der Zeilen hinweghuschen kann. Hinweghuschen, weil man es vom täglichen Lesen der Nachrichten aus Syrien mittlerweile so gewohnt ist. Einen feinen älteren Herrn stellt man sich dazu vor, mit müder Stimme aber wachen Augen, der bestimmt, vielleicht auch ein wenig starrköpfig, an seiner Entscheidung festhält, in Aleppo zu bleiben.
Die Geschichten sind sehr unterschiedlich; häufig sind es kleine Beobachtungen oder Gedanken des Autors. Erinnerungen an vergangene Lieben, Erzählungen von Freunden, Berichte über Spaziergänge in den zerstörten Straßen, den allgegenwärtigen Checkpoints mit ihren vermummten Soldaten zum Trotz. Den Geschichten gemeinsam ist der tief sitzende Schmerz, das Leid, das aus ihnen strömt. Das kurze Aufflackern des Glücks wird jäh zerstört, wenn sich herausstellt, dass der gute Freund tot ist, dass die erste Liebe erschossen wurde. Bedeutsam ist die schreckliche Erkenntnis, dass in Aleppo, in diesem Höllenloch aus den Nachrichten, Menschen sitzen wie ich, die sich im Café mit ihren Freunden treffen, die sich an Spaziergängen erfreuen, die lieben und die lesen, lesen und schreiben bis spät in die Nacht. Da in Aleppo sitzen noch Menschen wie wir. Und das ist die bedrückendste Erkenntnis, die diese Miniaturen uns bringen.
Niroz Malek, Der Spaziergänger von Aleppo (OT: Tahta sam’il harb, aus dem Arabischen von Larissa Bender) 144 S., 17 €, ISBN: 978-3-938803-83-7.
Weitere Besprechungen finden sich u. a. bei
aus-erlesen
Mona Lisa
dem Grauen Sofa
ReadIndie
Klappentexterin.
Ich will das jetzt auch lesen ! Liebe Grüße 🙂
Schön! Melde dich gern, wie es dir gefallen hat! Liebe Grüße zurück.
„Da in Aleppo sitzen noch Menschen wie wir“ – ja, das wird beim Lesen der kleinen, feinen literarischen Miniaturen Niroz Maleks wirklich ganz deutlich.
Viele Grüße, Claudia
Ja, ich dachte immer wieder: Das könnte auch ich sein. Oder mein Vater. Oder mein Bruder. Viele Grüße.
Ich habe auch schon so viel über dieses Buch gelesen. Jetzt werde ich es mir endlich auch mal kaufen! Ich wünsche dir Frohe Ostern!
In den letzten Tagen haben wirklich viele Leute dazu geschrieben. Schön, dass es so gut aufgenommen wird. Dir auch schöne Ostertage!