Deborah Feldman: Überbitten (2017)

cover_350x240Heute erscheint „Überbitten“, das dritte Buch der Wahlberlinerin Deborah Feldman. In ihrem Roman verarbeitet sie die Zeit nach dem Ausstieg aus einer isolierten jüdisch-orthodoxen Gemeinde in New York und beschreibt Ängste, Reisen und Freundschaften, die ihr Ankommen in der neuen Welt begleiten.

Sieben Jahre sind es, die sie nach ihrem Ausbruch schildert. Sieben Jahre, das letzte nach jüdischer Tradition das Sabbatjahr, in dem Schulden erlassen und Sklaven befreit werden. Eng sind der Aufbau dieses Buches und Feldmans Herkunft verwoben und bis zum Überbitten – etwa dem Verzeihen aus dem eigenen Glauben heraus, vielleicht sogar der Vernunft zuwider – ist es ein langer Weg. Er führt die Autorin von Manhattan und dem Sorgerechtsstreit um ihren Sohn ins Europa ihrer Großeltern bis schließlich ins heutige Berlin.

Die sieben Jahre

Jedes einzelne Jahr nach dem Neuanfang ist anders: Während das erste noch von existenzieller Not geprägt ist, stellt sich mit der Zeit der schriftstellerische Erfolg ein, als „Unorthodox“ überraschend einschlägt und die Bestsellerliste der New York Times erklimmt. Die Sorge um Nahrung und Kleidung verschwindet, Feldman kann der Stadt nach Neuengland entfliehen, doch beim Ringen um die eigene Identität hilft Geld nur wenig. Die Autorin reist, viele Reisen führen sie nach Europa, wo sie die Wurzeln ihrer Großeltern weiß und doch nur tote, nach dem Holocaust auf ewig verbrannte Erde vermutet. Oft wird sie überrascht, manchmal bestätigt. Ihre Bekanntschaften zeigen: der Umgang mit Menschen jüdischen Glaubens ist für viele Europäer immer noch schwierig. Was sagen, was fragen, wie reagieren?

Noch persönlicher

Während „Unorthodox“ der Literaturwelt unvergleichlich tiefe Einblicke in die abgeschlossene Welt des Chassidismus gab, gibt uns Feldman diesmal etwas noch Persönlicheres: Einblicke in die schwierige Suche nach der eigenen Identität, die in der Kindheit unter den Kollektiverfahrungen eines ganzen Volkes begraben wurde. Wer glaubt die traumatische Wirkung des Holocaust sterbe mit seinen letzten Überlebenden, wird hier eines Besseren belehrt. Es sind  auch die Nachkommen der zweiten Generation, die sich mit den Traumata ihrer Vorfahren auseinandersetzen müssen. In einigen Fällen ringen sie noch immer noch um einen Umgang mit den Nachkommen der Täter.

Fazit

Siebenhundert Seiten stark ist „Überbitten“ geworden. Man merkt dem Werk an, dass Feldman sich hier eine Menge von der Seele schreiben musste. Wie sie es wollte, gibt sie ihrem ganzen Leben unverkennbar eine erzählerische Struktur und vermeidet Wiederholungen. Man folgt diesem besonderen Lebensweg Seite um Seite in gespannter Erwartung. Ihr erstes Werk „Unorthodox“ sollte man zuvor gelesen haben. Dann kann man sich gut vorbereitet auf dieses fesselnde und sehr persönliche Werk einlassen.

Deborah Feldman, Überbitten. Autobiographische Erzählung, aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska, Secession Verlag 2017, 704 S., 28 €, ISBN 978-3-906910-00-0

Hier gibt es ein Interview mit der Autorin zum Buch. Wenn ihr auch eine Rezension zum Buch verfasst habt, verlinkt euch gern in den Kommentaren!

Ergänzung: Bei Lobe den Tag wird auch über Überbitten geschrieben.

6 Gedanken zu „Deborah Feldman: Überbitten (2017)

  1. Gerade „Unorthodox“ gelesen
    Bin geschockt, manchmal erfreut, überrascht, und weit davon entfernt, irgendetwas zu entdecken, dass annähernd als „normal“ gelten würde.
    Wahnsinnig, in so einer Welt der
    Abgeschottenheit leben zu müssen
    Reißaus nehmen unbedingt!!

    1. Schön, dass dich das Buch so bewegt hat. Ich empfand die Zustände in der Gemeinschaft auch als sehr eindrücklich beschrieben; Rituale und Frauenverachtung, wie ich sie mitten in New York nie vermutet hätte. Und wenn man Feldman dann auf der Bühne sieht, eine moderne, selbstständige und erfolgreiche Frau, dann kann man sich gar nicht vorstellen, wie sie in dicken Strumpfhosen und langen Röcken dort durch die Straßen gelaufen sein soll.

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