Gott erschuf den Menschen aus Mais. Die Ladinos, die Nachfahren der spanischen Einwanderer, bauen ihn an und verkaufen ihn im großen Stile. Dabei brennen sie den Urwald nieder und laugen die Böden aus. Dass dies unweigerlich den Zorn höherer Mächte auf sich zieht, überrascht die Maya-Quiché, die indigenen Einwohner Guatemalas, nicht. Ihre Sagen und Legenden verarbeitet der Literaturnobelpreisträger Miguel Ángel Asturias in seinem aus mehreren Geschichten bestehenden Roman „Die Maismänner“ auf beeindruckende Weise.
Zu Beginn des Romans stirbt der große Anführer der Indigenen aus den Bergen, Gaspar Ilóm. Hinterhältig auf Veranlassung des Militärs vergiftet, trinkt er einen Fluss leer, spült sich das Gift aus dem Körper, nur um dann zu entdecken, dass die Soldaten sein ganzes Dorf niedermetzelten. Aus Verzweiflung und Schmerz verschwindet er wieder im Fluss. Seine sagenumwobene Gestalt geistert seitdem durch die Erzählungen der Maya-Nachfahren in Asturias‘ Geschichten. Und nicht nur durch diese: Der Sohn des Schriftstellers agierte als linker Guerillero unter dem Namen „Gaspar Ilóm“ und trat durch den Rückgriff auf den Roman seines Vaters und seine kulturellen Wurzeln gleich ein doppeltes Erbe an. Auch Asturias selbst fand sich im Exil wieder – „dem bittersten und zugleich ehrenvollsten Aufenthalt eines Schriftstellers“, wie Siegfried Lenz anlässlich der Nobelpreisvergabe schreibt. Der Preis für Asturias sei „eine fällige Entscheidung“ gewesen.[1]
Wer sich durch „Die Maismänner“ liest, stößt auf eine ungewöhnliche Technik: Die einzelnen Geschichten, zwischen denen oft Jahrzehnte liegen, sind durch die Legenden miteinander verknüpft. Was gerade noch die Realität des Lesers war, taucht Seiten später als Erinnerung an eine ferne Vergangenheit einer der Figuren auf. In welcher Zeit man sich dabei befindet, lässt sich lange nicht feststellen, es muss irgendwann zwischen spanischer Conquista im 16./17. Jahrhundert und dem Erscheinen des Romans 1949 sein. Die Lebensgewohnheiten der Dorfbewohner, ihre Reisen und ihre Arbeit könnten in jede Zeit passen. Erst nach 300 Seiten lauscht man auf, denn hier fallen zum ersten Mal die Worte „telefonieren“ und „Automobil“ und man wägt sich in der Moderne angekommen.
Magischer Realismus und Aberglaube der Figuren gehen Hand in Hand und machen neben der Einflechtung der vielen unbekannten Tiere, Pflanzen und Speisen das Hauptmoment der Exotik dieses Romans für mich aus. Die Sprache speist sich häufig aus Beschreibungen von Flora und Fauna, wobei es Asturias eigen zu sein scheint, Passagen mit wunderschönen Beschreibungen zu beginnen, nur, um dann sprachlich Tod und Verderben heraufzubeschwören:
„Die lodernden Scheite häuteten sich jedesmal, wenn Goyo Yic sie mit seinem Sombrero fächelte. Schwenkte er ihn kräftig über der Flamme, wurde jeder Feuerbrand unheimlich lebendig, eine goldrote Klapperschlange. Verlangsamte er die Bewegung, bedeckte sich die Glut mit einem äschernen Schuppenkleid, das leichter war als die Luft, denn sobald er wieder fächelte, flogen die Schuppen hoch über dem Scheiterhaufen, auf dem sie die blutenden Gliedmaßen verstümmelter Bäume zurückließen.“
Miguel Ángel Asturias erhielt 1967 als einer der bisher wenigen Südamerikaner den Literaturnobelpreis. „Die Maismänner“ bezeichnete er anlässlich der Preisverleihung selbst als sein wichtigstes Buch. Anders als die großen Namen Mistral, Neruda und Vargas Llosa kann man jahrelang als Leserin durchs Leben gehen, ohne auf Asturias zu stoßen. Woran das liegt – ob an den jahrzehntelangen Kriegswirren in seinem Heimatland Guatemala oder an dem sein Werk prägenden Rückgriff auf die Legenden der Maya, die für Westeuropäer so weit weg sind wie Guatemala selbst – ist nicht klar. Neuauflagen von Asturias‘ Büchern sucht man in den Verlagsprogrammen vergeblich.
Für mich persönlich war die Lektüre der „Maismänner“ ein Gewinn und Ausgangspunkt dafür, mich etwas in die Geschichte Guatemalas einzulesen, neue Pflanzen und Tiere, ja eine ganz neue Kultur kennenzulernen und sensibler zu werden dafür, dass nicht alle Minderheiten (im Falle der Maya-Quiché auch Mehrheiten) so laut und medienwirksam auf ihre Probleme aufmerksam machen, dass es hier und heute in Westeuropa ankommt. Wer sich mit der Region beschäftigt, dem werden vermutlich sowohl Asturias als auch die Probleme der Indigenen Zentralamerikas sowie ihre von Diktaturen und Militärputschs geprägte Geschichte nicht fremd sein. Für wen allerdings Guatemala literarisch und auch sonst bislang ein weißer Fleck auf der Landkarte ist, dem sei die Lektüre der „Maismänner“ sehr ans Herz gelegt.
[1] http://www.zeit.de/1967/43/miguel-angel-asturias/komplettansicht
Miguel Ángel Asturias, Die Maismänner (auch: Die Maismenschen, OT: Hombres de maíz, aus dem Spanischen von Rodolfo Selke), 1949, verschiedene Auflagen.
Zum Weiterlesen und -sehen:
Eine Kurzbiografie Asturias‘ auf der offiziellen Seite des Nobelpreises (englisch).
Eine private Homepage, die sich mit dem Werk Asturias‘, insbesondere seiner „Bananen-Trilogie“ , beschäftigt.
Eine SWR-Dokumentation auf den Spuren der Maya-Sprachen mit Bildern aus verschiedenen Ecken Guatemalas, die zudem wunderbar zeigt, wie sich Elemente von Maya-Kultur, Katholizismus und Aberglaube vermischen.
Die Homepage des Quiché-Dichters Humberto Akabal, dessen Werke auch in Übersetzung erscheinen.
Wer Lust auf mehr Literatur aus Lateinamerika hat, findet zehn Empfehlungen bei letusreadsomebooks.
[1] http://www.zeit.de/1967/43/miguel-angel-asturias/komplettansicht
Wieso richtet sich die Inhaltsangabe von Asturias‘ Roman nur an „Leserinnen“? Offensichtlich eine Diskriminierung der Gender-Fanatiker.
(Seltsam, dass diese Leute nicht den Titel „Maismenschen“ gewählt haben.)