Gustave Flaubert: Madame Bovary (1857)

Flaubert_BovaryHier sitzt jedes Wort: Mit hinreißender sprachlicher Eleganz entlarvte Gustave Flaubert jede menschliche Schwäche und schuf zugleich ein für die Zeit freizügiges Sittengemälde, das stilbildend für viele spätere Romane um unglückliche Frauen war.   

Der Inhalt

Der mäßig begabte Charles wird auf Drängen seiner ehrgeizigen Mutter hin Arzt und schafft es auch tatsächlich, dem einen oder anderen Leiden seiner Patienten abzuhelfen. Als er eines Tages das Bein eines Hofbesitzers schient, verliebt er sich in dessen Tochter. Muss er nur noch abwarten, bis seine Ehefrau stirbt, um die junge Emma zu heiraten. Klappt auch. Emma ist des eintönigen Ehealltags und ihres ebenso eintönigen Ehemanns aber bald überdrüssig und sieht sich nach anderweitigen Vergnügungen um. Die findet sie auch bald – in Form verschiedener Schwärmereien und Affären. Der gutgläubige Charles ahnt nichts davon, zumal es Madame Bovary gelingt, ihre horrenden Geldausgaben geheim zu halten. Dass das alles auf Dauer nicht gut gehen kann, ist ja klar.

Mein Eindruck

Madame Bovary ist großartig. Das Lesen ist eine wahre Freude, weil hier wirklich jedes Wort sitzt. Auch, wenn mir einige Kleidungsstücke bis dato unbekannt waren (so detailliert sind Flauberts Beschreibungen), hatte ich das Geschehen beim Lesen lebhaft vor Augen: Emma, wie sie ziellos durch das kleine Haus stromert, Charles, der sie bis zuletzt anhänglich liebt, der Apotheker versunken in seinem Kämmerchen, rastlos darum bemüht, endlich Anerkennung in der Wissenschaftswelt zu finden.

Richtig sympathisch ist in dieser Geschichte niemand: Charles ist ein Simpel, der allgegenwärtige Apotheker ein Schaumschläger und Madame Bovary – nun ja, die hat so viele Fehler, das Flaubert einen ganzen Roman darüber schreiben konnte. Und zwar einen durchaus umfangreichen. Trotzdem hat man als Leser nie das Gefühl, Überflüssiges serviert zu bekommen. Jede Begebenheit wirft ein Licht auf den Charakter der Figuren, beschreibt eine neue Facette. Dass Flaubert sich ausdrücklich gegen Kürzungen gewehrt hat und sein Manuskript in vollem Umfang als Roman veröffentlicht sehen wollte, überrascht daher nicht. Diese und noch viele weitere interessante Tatsachen über den Charakter des Schriftstellers kann man dem informativen Nachwort von Guy de Maupassant entnehmen. Demnach kann Flaubert fast als „geselliger Misanthrop“ gelten, der sich nur allzu gern über die Fehler der Menschen ausließ – am liebsten in seinen Werken.

Insgesamt hatte ich den Eindruck, Flaubert war mit Madame Bovary seiner Zeit voraus. Oder hat einfach aufgeschrieben, was sich sonst niemand getraut hat. In einer Zeit, in der Männer in allen Bereichen des öffentlichen Lebens die Oberhand hatten, widmet er sich dem häuslichen Leben und den Eskapaden einer gelangweilten Arztgattin in der Provinz. Das allein empfand ich schon als bemerkenswert. Dass er dabei das Gefühlsleben und den Charakter einer jeden Figur wie mit dem Seziermesser auseinandernimmt und dafür noch Worte findet, die das Lesen zu einem Genuss machen, lassen das Buch zu einem Schatz werden.

Gustave Flaubert, Madame Bovary, aus dem Französischen von Hans Reisiger, 587 S., 22,90€, ISBN: 978-3-7175-1126-7.

Weitere Meinungen zum Buch findet ihr bei

Lesestunden

Literatur im Fenster.

7 Gedanken zu „Gustave Flaubert: Madame Bovary (1857)

  1. Das Buch steht auf jeden Fall noch auf meiner Leseliste! Jetzt bin ich erst recht interessiert, es endlich selbst einmal in den Händen zu halten 😉
    Leider hat ein Schreibratgeber mich bereits über die meisten Zusammenhänge und das Ende gespoilert – sehr schade…
    Liebe Grüße, Alex

    1. Das kann ich mit vorstellen, die Sprache an sich macht das Buch schon lesenswert. Dass Flaubert nächtelang an einem Satz gefeilt hat, glaubt man sofort. Ich hoffe, die Sprache tröstet dich über die fehlende Überraschung am Ende hinweg. Die Gefahr, bei Klassikern ,,gespoilert“ zu werden, ist leider sehr groß ; -) Ich wünsche dir trotzdem viel Spaß beim Lesen!
      Liebe Grüße, Jana

  2. Gerade zufällig entdeckt, diese Rezension / Buchempfehlung. Madame Bovary ist irgendwann auf meinem Tolino gewesen, keine Ahnung, wie, gekauft habe ich sie mir nicht. War vermutlich eine Zugabe zum Kauf des Readers ?
    Bis eben hat mich aber noch nichts gereizt, es zu lesen, aber jetzt gucke ich es mir wohl doch mal an ?

    1. Unbedingt! Ich bin zwar zu Beginn langsam rein gekommen, aber dann hat sich mir der Witz erschlossen und ich musste hin und wieder richtig grinsen beim Lesen. Es ist vielleicht kein Klassiker, der ganz oben auf jeder Leseliste steht, aber ich finde ihn nichtsdestotrotz unterhaltsam und lesenswert. Viel Spaß dabei!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben