Auf Jay Ashers Jugendroman „Tote Mädchen lügen nicht“ (OT: Thirteen reasons why) bin ich überhaupt erst durch die Ankündigung der gleichnamigen Netflix-Serie aufmerksam geworden. Jetzt konnte ich mir selbst eine Meinung bilden und muss sagen: Puh, ob dieses Buch geeignet ist, das Thema Suizid bei Teenagern adäquat zu behandeln, kann zu Recht bezweifelt werden.
Der Inhalt
Hannah Baker ist tot. Sie hat sich umgebracht und vor ihrem Tod Kassetten aufgenommen, auf denen sie dreizehn Personen für ihren Selbstmord verantwortlich macht. Gemeinsam mit ihrem Schulfreund Clay, der heimlich in sie verliebt war, hören wir zu wie sie nach und nach die vielen kleinen Gründe nennt, die letztlich zur Katastrophe geführt haben.
Mein Eindruck
Anfangs dachte ich schlicht, ich sei zu alt für dieses Buch. Oder zu abgestumpft. Denn viele der Gründe, die Hannah als ausschlaggebend für ihren Selbstmordentschluss angab, konnte ich schlicht nicht nachvollziehen. Klar, vieles war unangenehm, manches verletzend und einiges sogar kriminell. Aber Asher stellt dem Leser seine Protagonistin als durchaus starke Persönlichkeit vor, die weiß, was sie will. Die auch mal einen Jungen um ein Date bittet und sich gegen Zudringlichkeiten tatkräftig zur Wehr setzt. Deshalb passen die gutgemeinte Intention, die Gefahren von Mobbing aufzuzeigen und die zu diesem Zweck geschaffene Figur für mich nicht gut zusammen.
Durch die Kürze des Buches und die dadurch entstehende Ballung der Ereignisse lesen sich diese übertrieben bis unglaubwürdig. Der Gedanke an ein klischeehaftes Highschool-Drama mit Sex, Gewalt, Heimlichkeiten und allem, was dazu gehört, drängt sich unweigerlich auf. Das ist dem behutsamen Umgang mit dem Thema Teenager-Suizid sicher nicht dienlich.
Bemerkenswert originell fand ich die Idee des Autors, seine tote Protagonistin über Kassetten zu Wort kommen zu lassen und dem Leser parallel Clays (manchmal übertrieben wirkende) Gedanken zu präsentieren. So wird ein gewisser Sog entfaltet, der einen zum Weiterlesen zwingt, wobei Clay immer sympathischer, Hannah immer unsympathischer wird. Mich würde interessieren wie Teenager, die das Buch vielleicht in der Schule behandelt haben, es bewerten. Für mich war es nichts; viel berührender fand ich damals „Das Ende der Stille“ von Ulrike Kuckero.
Jay Asher, Tote Mädchen lügen nicht (OT: Thirteen reasons why), aus dem Amerikanischen von Knut Krüger, 288 S., 8,99€.
Was andere dazu sagen
Weitere, weit auseinander gehende Meinungen zum Buch findet ihr auch bei:
Ich habe vor kurzem mal einen Artikel gelesen, in dem es hieß, daß es bereits erste Teenager-Suizide gegeben haben soll, die im Zusammenhang mit der Verfilmung stehen.
Daraufhin habe ich mir die Beweggründe aus dem Buch durchgelesen und fand es auch einfach nicht schlimm genug für einen Selbstmord, allerdings habe ich auch nur die Liste und nicht die ausführlichen Begründungen gelesen. Trotzdem dachte ich mir, daß es wohl streckenweise so weit gefasst ist, daß sich viele Teenager damit identifizieren können und im schlimmsten Fall Dummheiten machen. 🙁
Ja, als die Verfilmung startete, gab es ja allenthalben Artikel zum Einfluss von derartigen Geschichten auf suizidgefährdete Menschen. Die FAS war es, meine ich, die sogar eine Parallele zum Werther-Effekt zog.
Die Identifikationsmöglichkeiten der Geschichte sind auf jeden Fall vielfältig, genau aus dem Grund, den du nennst: Es ist einfach so allgemein, dass fast jeder die eine oder andere Begebenheit auch schon einmal selbst erlebt haben wird.
Im Buch fand ich die Protagonistin übrigens sehr unsympathisch. Ihre sympathischere Darstellung in der Serie wurde auch als Grund für den starken Einfluss auf Jugendliche aufgeführt. Dieser Punkt fällt meiner Meinung nach im Buch eher weg.
Hi!
Interessanter Punkt und ohne irgendwie vorwerfend klingen zu wollen, lass mich das kurz aus meiner Sicht schildern (vielleicht zum besseren Veständnis für die Reaktionen der Masse?)
Wir haben das Buch in der 7.Klasse als Schullektüre behandelt.
Ich hab es seitdem auch nochmal gelesen.
Genauso hab ich die Serie dazu angeschaut und war zwiegespalten.
Ist wohl jedem sein eigenen Empfinden, aber ich fand damals und auch heute eigentlich noch, dass Hannah nicht „überreagiert“ hat.
Man muss ja auch immer daran denken, dass Teenagerdepression trotz allem oft – sogar sehr oft – meist grundlos auftritt und dann eher mit Hormonen und Selbstergründung der Pupertät zu tun hat.
Wenn man dann noch in eine neue Gegend geschmissen wird ohne Freunde in einem eh schon problematischen Alter, dann wird die Welt mit den erzählten Situationen zusammen für ein junges Mädchen schon mal zur Hölle.
Es ist ein Aufschrei, dass sich irgendjemand kümmert, dass sich irgendjemand schert und mal hinter „Hannah die Schlampe mit dem tollen Arsch“ sieht.
Ich fands verdammt eindringlich und auch Clays Reaktionen nicht too much, sondern manchmal eher zu wenig.
Die Serie ist mir dann schon wieder viel zu krass, da ist es mit Triggerwarnungen dann auch nicht mehr getan. Vor allem, dass sie eine zweite Staffel drehen wollen, gibt dem ganzen tatsächlich was von einer klischeehaften Highschoolgeschichte.
Liebe Grüße
Itchy
Hallo Itchy,
vielen Dank für deinen Kommentar und deine Meinung. Ich persönlich fand, dass das Thema ,,Depression“ in diesem Buch viel zu kurz kam und sich der Suizid als Ende einer Kaskade von Problemen las, die so oder so ähnlich vielen Teenagern (oder Erwachsenen) begegnen. Ich hätte mir gewünscht, dass man hier mehr auf eine (vermutlich?) auch zugrunde liegende Depression eingeht.
Oh, eine zweite Staffel? Hmm, das hört sich auch für mich auf den ersten Blick nicht wünschenswert an.
Viele Grüße
Jana
Genau das hab‘ ich mir auch gedacht!
Ich dachte eigentlich, dass Suizid nicht aus den Problemen besteht, sie mögen vielleicht eine Art „Auslöser“ sein doch die Ursache liegt doch oft in der Depression. Und dann ist das ganze ja wie eine Art Psychose in der man immer wieder über Suizid nach denkt, bis man es dann eben als einzigen Ausweg sieht. Zum mindestens dachte ich, dass das so oder so ähnlich funktioniert und das hat mir eben bei diesem Buch gefehlt, zusammen mit den anderen Aspekten die ich in meinem Review angesprochen habe.
Viele Grüße,
Lorenz.
Hallo Lorenz,
zu den verschiedenen Krankheitsbildern kann ich gar nicht viel sagen. Ob Hannah an einer Psychose leiden sollte, konnte ich beim lesen nicht klar ausmachen. Ich glaube, Jay Asher hat den Schwerpunkt seiner Geschichte darauf gelegt, dass Hannah noch am Leben wäre, wenn sich ihre Mitmenschen rücksichtsvoller, empathischer und vor allem nicht so grausam verhalten hätten. Das finde ich problematisch, denn es blendet völlig aus, dass es auch in der Person selbst liegende Gründe wie z. B. psychische Erkrankungen geben kann. Mich wundert immer wieder, wenn eine neue Besprechung zu dem Buch auftaucht, wie sehr es polarisiert. Manche empfinden die Herangehensweise an das Thema als sehr gelungen. Na ja, ich glaube, darüber kann man viel schreiben.
Viele Grüße
Jana
Ich selbst habe auch überhaupt keine Ahnung davon was in dem Kopf eines Menschen mit Selbstmordgedanken vorgeht, das ist nur dass, was ich vermutete. Was ich aber eigentlich damit meinte ist, dass das Thema meiner Meinung nach zu oberflächlich behandelt wurde und so eben eine falsche Sicht darauf erzeugt wurde.
Und bestimmt kann man da viel drüber schreiben und noch viel verschiedener könnten die Meinungen gar nicht sein, freut mich aber irgendwo schon, dass ich mit meiner Meinung über das Buch nicht alleine bin 🙂
Liebe Grüße,
Lorenz.
Fand die Erzählweise des Buches auch äußerst originell, die grundsätzliche Message des Buches ist eine wichtige, aber ich fand auch, dass das buch irgendwie recht oberflächlich ist. Hätte mir da auch mehr Tiefe gewünscht. Das hat die Serie meiner Meinung nach wesentlich besser hinbekommen. Hast du sie gesehen?
Ich habe nur die ersten zwei, drei Folgen gesehen und bin dann auf das Buch ausgewichen. Eigentlich wollte ich die Serie nach dem Lesen anschauen, aber ich muss gestehen, dass ich nach dem Buch keine Lust mehr darauf habe.
Ich habe ja nur einen kurzen Einblick in die Serie bekommen; da schien es mir so, als würde die Protagonistin positiver dargestellt als im Buch: hübscher, cooler, selbstbewusster. Ob das der Message des Buches zuträglich ist, weiß ich nicht. Was meinst du?
Also ich muss sagen, dass mir Hannah auch im Buch nicht wie ein graues Mäuschen vorkommt. Ganz im Gegenteil, ich meine mich sogar zu erinnern, dass sie im Buch grundsätzlich erst einmal besser aufgestellt ist, als sie es in der Serie ist.
Ich fand beide Medien haben das Thema gut rübergebracht. Das Buch etwas seichter und in flotterem Tempo (wodurch es leider an mancher Stelle an Tiefe gefehlt hat), die Serie hat sich mehr Zeit genommen und war direkter oder auch krasser, hat das thema in meinen Augen aber genauso klar gemacht.