Was macht man, wenn man als Kind einer gescheiterten Künstlerehe so richtig aus der Reihe tanzen will? Richtig, man zieht zum knorrigen Großvater und wird Spitzenjuristin und Richterin. Petra Morsbach erzählt in Justizpalast mit trockenem Humor und großer Liebe zu ihren Figuren die Geschichte ihrer Protagonistin Thirza Zorniger als hochintelligenter, reflektierter und dabei nahbarer Frau. Der beste Roman über die deutsche Justiz, den ich je gelesen habe.
Thirza Zorniger schaut kurz vor der Pensionierung auf ihr Leben zurück: auf zerbrochene Kindheitsfreundschaften, die „ostpreußische Tantenschule“ ihrer Kindheit und den mit sich hadernden Großvater, ehemals Richter unter den Nationalsozialisten. Auf ein eifriges und sehr erfolgreiches Studium („Wie weit komme ich mit meiner Mädchenlernerei?“) und erste Schwärmereien („Alfred kann nicht geliebt werden.“). Eine zerstörerische Affäre, dann spätes Glück mit einem von Selbstzweifeln geplagten Literaturliebhaber (ebenfalls Jurist). Und immer wieder ihre Arbeit im Münchner Justizpalast, die längste Zeit davon als Zivilrichterin.
Morsbach geht nur grob chronologisch vor, immer wieder schweifen die Gedanken ihrer Protagonistin in die Vergangenheit. Aufgelockert durch Begebenheiten aus dem Richterinnenalltag und teils kurios anmutende Fälle liest sich die Lebensgeschichte der Thirza Zorniger interessant, dabei aber auch äußerst realistisch. Ihre Probleme sind lebensnah: Entfremdung von den Eltern, Tod naher Angehöriger, berufliche Erfolgserlebnisse nach harter Arbeit, dabei Selbstzweifel, Suche nach Liebe und persönlicher Erfüllung, immer wieder die Frage „Lebe ich richtig? Lebe ich ganz?“.
Die ausführliche Recherche der Autorin zeigt sich neben dem sehr treffenden Einbringen von juristischer Denkweise und Fachbegriffen besonders an der Einflechtung aktueller Probleme der deutschen Justiz. Im Hintergrund steht immer die große Frage nach Gerechtigkeit im Vordergrund die Überlastung der Richter, Einflussnahme von Lobbyisten auf Gesetze, das Spannungsverhältnis zwischen Karrierestreben und Gerechtigkeitswunsch, wobei ein gewisser Standesdünkel nicht in Abrede zu stellen ist. Dazu kommen – wir betrachten die Welt durch die Augen einer weiblichen Juristin – Männerseilschaften, die das persönliche berufliche Fortkommen erschweren.
Hat die Protagonistin Thirza Zorniger ihr Leben für die Gerechtigkeit geopfert? Oder ist dieser Gedanke vermessen und noch dazu pathetisch? Wie viel Gerechtigkeit steckt in der Maschinerie Rechtsprechung? Präzision, Perfektion, Mitgefühl – auf was kommt es beim Richten an? Petra Morsbach ist mit Justizpalast ohne Zweifel ein ganz großartiger Roman über die deutsche Justiz gelungen.
Petra Morsbach, Justizpalast, Knaur 2017, 480 S., 25€, ISBN: 978-3-8135-0373-9.
Wissenstipp: Justiz, Rechtswissenschaften, Rechtsphilosophie
Weitere Meinungen zum Buch finden sich u. a. bei:
Das freut mich, dass der Roman Deinen kritischen Augen standhalten konnte – ich fand ihn großartig und vor allem auch fesselnd, trotz der scheinbar trockenen Thematik. Und danke für den Hinweis auf meine Rezension!
Durch dich bin ich erst auf diesen Roman aufmerksam geworden. Danke dafür! Es hat mir großen Spaß gemacht, endlich mal Belletristik zur ,,trockenen Juristerei“ zu lesen – und dann auch noch so gut recherchierte. Auf die Fachwörter im Rahmen eines Romans zu stoßen, befördert gleich noch einmal die (Studien-)Motivation.
Oh 🙂 Na, dann freue ich mich über meine Rolle als Vermittlerin (die Frau Morsbach habe ich kurz auch beim Bayerischen Buchpreis kennengelernt, übrigens eine sehr, sehr nette Autorin!). Kennst Du auch „Landgericht“ von Ursula Krechel? Eine Besprechung findest Du bei mir. Jedenfalls auch ein sehr guter Roman über die Justiz, allerdings eben den Wiederaufbau des Rechtswesens nach dem 2. WK aus Sicht eines jüdischen Richters. Kann ich sehr empfehlen.
Der Bayerische Buchpreis zieht ja richtig Prominenz an! Wie schön. Danke für den Tipp, da stöbere ich doch gleich (noch) länger durch deine Beiträge. Ich habe auch gerade mit Irmgard Keun angefangen und gesehen, dass du zu ihr geschrieben hast. ,,Das kunstseidene Mädchen“ ist mein erster Roman von ihr und ich bin sehr gespannt.
Ja, Irmgard Keun ist so eine meiner Favoritinnen – das kunstseidene Mädchen wirkt so leichtgewichtig, aber ich finde es einfach großartig 🙂
Danke fürs Verlinken! Und „Landgericht“ von Krechel kann ich ebenso empfehlen
Viele Grüße!
Na, jetzt muss ich es ja lesen!
Viele Grüße zurück!
Das klingt mal sehr spannend und nach etwas anderem. Belletristik die wie eine Biographie daherkommt und die deutsche Justiz beleuchtet, das find ich klasse. Es scheint sehr lebensnah zu sein.
Danke für die Vorstellung.
Daniela
Hallo Daniela,
danke für deinen Kommentar. Schön, dass dir die Vorstellung gefallen hat. Melde dich gern, wenn du das Buch gelesen hast und schreib hier, wie es dir gefallen hat.
Viele Grüße
Jana
Das klingt nach einem anspruchsvollen und spannendem Buch. ?
Danke auch für den netten Kommentar unter meinem letzten Blogpost.
Viele Grüße
Silke