Nora Bossong: Schutzzone (2019)

Weltverbesserer, die irgendwo in der Welt verloren gehen. Nora Bossong erzählt in „Schutzzone“ die Geschichte einer jungen Frau, die für die Vereinten Nationen Massaker in Burundi aufarbeitet. Ein atmosphärischer, aber auch ein sprachlich anspruchsvoller Roman.

Nora Bossong Schutzzone

Zum Inhalt: Affären und die Sinnfrage

Die UN-Diplomatin Mira hat den Traumjob schlechthin: Als Mitarbeiterin der Vereinten Nationen zieht sie von Genf nach Bujumbura in Burundi, ist in Den Haag ebenso unterwegs wie in New York und Berlin. Im ostafrikanischen Burundi dokumentiert sie die Erlebnisse der Menschen nach verschiedenen Massakern; es steht ein Genozid im Raum. In Burundi ist es auch, wo sie mit einem gebildeten Warlord und mutmaßlichen Kriegsverbrecher anbandelt.

In Berlin lässt sie ihren Freund Wim zurück, dessen Arbeit zu deutschen Kolonialverbrechen sie langweilt. Und immer ist da Milan, eine Kindheitserinnerung. Ihm läuft sie schließlich in Genf über den Weg. Kurzerhand beginnt sie eine Affäre mit ihm, sitzt auf seiner Couch, während Frau und Kind heimkommen.

Doch die Geschichte allein auf die Affären der Protagonistin zu reduzieren, wird Bossongs Roman nicht gerecht. Im Mittelpunkt stehen auch die Gespräche der Mitarbeiter verschiedener internationaler Organisationen. Fast jeder gelangt an einen Punkt, an dem er die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit hinterfragt – und auch verneint. Das war spannend zu lesen. Manchmal waren die Betrachtungen schonungslos ehrlich, manchmal fast weinerlich, aber auch wütend, resigniert oder einfach desillusioniert. Je nach Figur und Alkoholpegel.

Der Kriegsverbrecher als Philosoph

Es ist dann Aimé, der westlich gebildete Warlord, der eine mögliche afrikanische Sichtweise auf die internationale Hilfe formuliert:

Sie sind Helden, Märtyrer, Sie kommen her, um die Schuld der Welt von uns zu nehmen, aber den Tod am Kreuz müssen dann doch wir für Sie sterben.

Und auf Miras deutsche Herkunft anspielend:

Sie wollen sogar im Bösen noch die Besten sein, aber Sie dürfen nicht übersehen, dass auch anderswo Menschen andere Menschen umbringen aus Hass, aus Abscheu, aus Wut, weil sie quälen wollen, weil sie meinen, sie hätten mehr Recht auf Leben als andere. Das müssen Sie akzeptieren, Mira, Sie können nicht alles Böse für sich behalten. Sie können uns nicht immer weiter wie Menschen zweiter Klasse behandeln. Sie haben uns erst unsere Menschlichkeit, dann unseren Verstand, dann unsere Unabhängigkeit abgesprochen, und am Ende trauen Sie uns nicht einmal unseren Genozid zu.

Eine Lösung der verworrenen Konflikte durch die internationale Gemeinschaft – oder durch irgendjemanden – schließt er aus:

Menschen sind immer ein Problem, und das Problem werden Sie nicht los.

Schwierig: Bandwurmsätze und Themen-Hopping

Es gibt einige Bandwurmsätze, die sich nicht selten über eine halbe Seite erstrecken. Innerhalb des Satzes springt Bossong von einem Thema zum anderen. Die Sätze greifen vor vielen Seiten beiläufig Beobachtetes auf und stellen es in einen neuen Zusammenhang. Dieses nur durch Kommata getrennte Themen-Hopping empfand ich als anstrengend und unangenehm zu lesen. Probeweises lautes Vorlesen gab dem Text etwas Atemloses, Gehetztes. Das wiederum passte ausgezeichnet zur Protagonistin. Stellenweise wirkte es, als habe man den Schriftsatz bei einem eigentlich der Lyrik zuzuordnenden Text falsch gewählt und stattdessen alles aneinandergereiht.

Dazu kommt, dass die Figuren in „Schutzzone“ fast schon inflationär mit den ganz großen Begriffen um sich werfen: Schuld, Erlösung, Vergebung. Die Teilabschnitte des Buches heißen dann auch konsequent: Frieden, Wahrheit, Gerechtigkeit, Versöhnung. Natürlich behandelt dieser Roman große Fragen. Wie will man schon über einen Genozid und die Arbeit für eine bessere Welt schreiben, ohne sie aufzuwerfen? Aber wenn ein beliebiges Café-Gespräch ohne Vorrede gleich so einsteigt, wirkte das auf mich sehr gezwungen:

Aber ohne Schuld keine Erlösung, oder nicht?

Schuld, was soll das schon sein, sagte Milan lächelnd. Das ist Eitelkeit. Nichts als Eitelkeit, und er strich mit der Hand an der Tischkante entlang. Schuld, Unschuld. […] Und dann versuchen wir es auch noch in unserem Alltag, in unseren Beziehungen und sind überrascht, wenn wir genau daran scheitern, sagte er und [hier folgt dann im selben Satz eine halbseitige Betrachtung über Kellner in Genf].

Die wörtliche Rede wird im Text nicht hervorgehoben, deshalb ist nicht immer sofort klar, ob Dinge laut ausgesprochen werden. Vieles bleibt im Vagen, Ungefähren. Die Protagonistin ist eine Erzählerin, die dem Leser – zu ihrem eigenen Schutz – vieles vorenthält. Viel direkten Redeanteil hat sie nicht, sie ist vielmehr eine Zuhörerin, die die Menschen zum Reden bringt. Sie ist eine schwierige Figur, amoralische Handlungen inklusive. Was will die Frau eigentlich?, fragt sich der Leser schon bald. Dazu befragt, was sie der Welt mitteilen will, antwortet sie dann auch:

Ich? Nichts. Gar nichts.

Fazit

Nora Bossongs „Schutzzone“ beschäftigt sich mit dem spannenden Thema der Arbeit in internationalen Organisationen und den damit einhergehenden persönlichen Belastungen. Die Autorin richtet das Licht auf die wirklich dunklen Orte dieser Welt. Auf afrikanische Krisengebiete, die es nicht einmal mehr in die westlichen Medien schaffen. Leider erschafft sie dazu eine Protagonistin, die so einige fragwürdige Handlungen unternimmt, ohne, dass ihre Intention mir völlig klar geworden wäre. Dies gekleidet in überlange Sätze und übermäßig gespickt mit Hochwertwörtern machte „Schutzzone“ für mich zu einem eher anstrengenden Leseerlebnis.

Nora Bossong, Schutzzone, Suhrkamp Verlag 2019.


Weitere Meinungen zum Buch:

Im Feuilleton findet sich meist überschwängliches Lob. Was meinen denn die LeserInnen unter euch? Wie fandet ihr „Schutzzone“?

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2 Gedanken zu „Nora Bossong: Schutzzone (2019)

  1. Tolle Rezension! Habe lange überlegt, ob ich das Buch lesen will, nachdem Denis Scheck es auf der Messe empfohlen hatte, hatte ich es schon meiner Wunschliste hinzugefügt, aber was ich in den letzten Wochen darüber gehört habe, lässt mich vermuten, dass es mir zu anstrengend wäre.

    1. Danke! Ich persönlich werde es nicht weiterempfehlen; dafür war mir zu wenig Handfestes dabei (natürlich war es kein Sachbuch über Genoziode in Afrika, aber ich hätte mir einfach mehr nachprüfbare Informationen gewünscht). Die Sprache war fast lyrisch, konnte mich aber nicht hundertprozentig abholen und die Protagonistin fand ich durchweg unsympathisch. Hmm, ich les mal nach, was Scheck dazu gesagt hat.
      Viele Grüße
      Jana

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