John Steinbeck: „Of Mice and Men/Von Mäusen und Menschen” erzählt die Geschichte des prekären Lebens der Wanderarbeiter im Kalifornien der 1930er Jahre. Das Werk entzaubert den American Dream auf gewaltvolle Weise.
Der Inhalt
Die Geschichte dreht sich um George, der gemeinsam mit dem geistig behinderten Lennie von Farm zu Farm zieht und sich als Wanderarbeiter verdingt. Es ist die Zeit der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre und Arbeit ist rar. Da hilft es nicht, dass der mit enormen Kräften ausgestattete Lennie die beiden immer wieder in Schwierigkeiten bringt, etwa, weil er ganz unschuldig das Kleid einer Frau streicheln will.
Die beiden landen dann auf einer Farm, auf der der Ärger vorprogrammiert ist: Der übellaunige Curley, Sohn des Chefs und Inhaber eines mächtigen Napoleon-Komplexes, hat es auf den ihm körperlich überlegenen Lennie abgesehen. Curleys Frau langweilt sich und flirtet derweil – sehr zum Ärger von Junior – mit jedem Arbeiter, der ihr über den Weg läuft. Es ist nur der Traum vom eigenen Fleckchen Land, der George und Lennie aufrecht hält. Doch Steinbeck hat andere Pläne mit ihnen und lässt die Geschichte gewaltvoll eskalieren.
Mein Eindruck: Vorahnung der Katastrophe
Ich wusste vor dem Lesen nur ganz grob, wovon Steinbecks Roman (der aufgrund der durchdachten Komposition auch als Drama funktioniert) handelt. Ich war überrascht davon, mit wie wenig Worten Steinbeck es schafft, Atmosphäre zu erzeugen. Mal ist sie explosiv und der Leser rechnet jeden Augenblick mit einer Eskalation. Etwa, wenn der Boxer Curley die Baracke der Arbeiter betritt und merklich auf Streit aus ist.
Dann wiederrum wiegt Steinbeck den Leser in trügerischer Sicherheit. Er lässt George und Lennie vom eigenen Stück Land träumen und wir wünschen den beiden wirklich, wirklich sehr, dass es klappt. Die Hoffnung haben wir dann aber eigentlich schon aufgegeben. Denn Steinbeck nimmt das Ende früh vorweg, wenn er Lennie schon kurz nach Ankunft auf der Farm betteln lässt:
I don’t like this place, George. This ain’t no good place. I wanna get outta here.
Die Leserunde
Unter dem Hashtag #SteinbecksMäuse haben Kathrin, Steffi, Kerstin und ich im Oktober auf Twitter gemeinsam John Steinbecks „Of Mice and Men/Von Menschen und Mäusen” veranstaltet. Das Werk war kurz und schnell gelesen – es war meine kürzeste Leserunde bisher und kein Vergleich zu dem sich über Monate erstreckenden Lesen von Anna Karenina im Frühjahr.
Trotzdem gab es ausreichend Gesprächsstoff. Wir lobten die Steinbeck’schen Landschaftsbeschreibungen und die im Slang gehaltenen Dialoge, die mit wenigen Worten eine ganze Welt eröffnen. Wir ärgerten uns über das stereotype Frauenbild und die Gehässigkeiten der Arbeiter untereinander. Die Kürze des Texts machte es möglich, auf Details einzugehen, die bei einem längeren Roman unter den Tisch gefallen wären. (Etwa: Welche Funktion nimmt der kurz erwähnte Leserbrief ein? Warum wurde der Farmbesitzer beschrieben, wenn er dann nie wieder auftaucht?). Ich fand die Leserunde sehr gelungen. Danke an die Mitleserinnen!
Steinbeck’sche Kapitalismuskritik?
Die Tragik, die Steinbeck hier kreiert, ist herzzerreißend. Lennie hat überhaupt nur so lange überlebt, weil sich jemand seiner angenommen hat. Der ziemlich kratzbürstige George scheint nicht der ideale Betreuer zu sein. Er verhält sich Lennie gegenüber nicht immer richtig, etwa, wenn er ihn als „Waffe“ gegen seinen persönlichen Feind Curley einsetzt. Trotzdem kommt der Leser nicht umhin, anzuerkennen, dass George sich mit Lennies Betreuung eine Aufgabe aufbürdet, die seine eigene – ohnehin prekäre – Situation noch verschärft.
Bei mir persönlich kam eher Wut aufs (wirtschaftliche) System auf. Denn es schafft in Krisenzeiten eine Situation extremer Knappheit, die die Menschen dazu bringt, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Hinzu kamen im Steinbeckschen Panorama noch die reizbaren Charaktere, die den Frust über ihre eigene Unzulänglichkeit am liebsten an anderen auslassen. In dieser Hinsicht passten Curley und seine Frau ganz ausgezeichnet zu einander. Steinbeck berichtet hier aus erster Hand, denn er war selbst Anfang der 20er Jahre als Wanderarbeiter unterwegs.
Gerade, nachdem ich „Der Winter unseres Missvergnügens“ von ihm gelesen habe, habe ich die Vermutung, dass Kapitalismuskritik Steinbeck nicht ganz fremd gewesen sein wird. Ich bin gespannt, ob sich dieser Eindruck beim nächsten Werk, „Früchte des Zorns/Grapes of Wrath“, bestätigt.
John Steinbeck, Of Mice and Men, Penguin Books 1994, verschiedene Ausgaben.
Weitere Artikel zur Leserunde:
Ankündigung zur Leserunde bei Miss Booleana
Alle Eindrücke zu „Of Mice and Men/Von Mäusen und Menschen“ könnt ihr auf Twitter unter #SteinbecksMäuse nachlesen. Eine weitere Meinung zum Buch findet hier auf dem Blog Zeit für neue Genres.
Das Buch ist Teil meiner Klassiker-Leseliste.
Witziger Zufall. Genau zu diesem Buch habe ich heute auch erst einen Beitrag fertig geschrieben. Falls er dich interessiert, findest du ihn hier: https://kapitel7.de/john-steinbeck-von-maeusen-und-menschen/
Ich stimme dir völlig zu, was die Atmosphäre angeht. Ist mir auch sofort aufgefallen. In dem Punkt ist das Buch unfassbar stark. Ganz generell ein phantastisches Werk mit viel Spielraum für Interpretationen.
Hallo Florian,
da haben wir gerade wohl eine Steinbeck-Phase. Liest du in nächster Zeit noch etwas von ihm? Ich habe mittlerweile auch „Früchte des Zorns“ im Theater gesehen und mein Steinbeck-Soll auf der Klassiker-Leseliste erfüllt. Aber der Autor gefällt mir sehr gut und wenn ich demnächst mal auf sein „Jenseits von Eden“ oder „Tortilla Flat“ stoße, die du in deinem Beitrag erwähnst, greife ich bestimmt wieder zu.
Welcher Klassiker steht bei dir als nächstes an?
Viele Grüße
Jana
Bei Steinbeck würde ich als nächstes wahrscheinlich zu Früchte des Zorns greifen. Tortilla Flat klang auch nach nem interessanten Grundgedanken. Wenn ich denn irgendwann mal Zeit dafür habe. Würd mich aber definitiv freuen, darüber mal irgendwo (vielleicht ja bei dir) einen Post dazu zu lesen.
Bei mir steht zunächst aber Henry James an: Das Durchdrehen der Schraube
Muss ich auch unbedingt mal lesen. Hätte mich euch auch angeschlossen, wenn der Monster-Buddy-Read von „Centennial“ nicht für Oktober geplant gewesen wäre (letztlich ist es dann doch November geworden).
Ich hab deinen Fortschritt beim Mammut-Projekt zu Centennial verfolgt, Respekt! Da waren wir mit Steinbeck schneller durch. 😀 Ich bin gespannt auf dein Gesamtfeedback zu dem Buch. Mein Mammutwerk in diesem Jahr war die Leserunde zu Anna Karenina; für nächstes Jahr können wir uns gern wieder mal so ein Projekt gemeinsam vornehmen. Macht immer sehr großen Spaß!
Gerne 🙂
Liebe Jana,
schön, deine Eindrücke nun auch hier zu lesen. 🙂 Du hast wirklich recht damit, dass Curley und seine Frau sich auf eine ganz bestimmte Art ähnlich sind – beim Lesen kam mir das nicht in den Sinn, aber ja, es ist wirklich so.
Es war mir eine Freude, mit euch zu lesen – auch wenn es so kurz war!
Liebe Grüße
Kathrin