Louisa May Alcott erschafft in „Little Women“ Frauenfiguren, die in einem Umfeld von Heimeligkeit und Selbstermächtigung aufwachsen. Warum mir der Roman dann aber zu verklärt-romantisch war.
Der Inhalt
Wir begleiten die Schwestern Meg, Jo, Amy und Beth durch ein Jahr ohne Vater. Der ist nämlich als Kaplan im US-amerikanischen Sezessionskrieg und kämpft auf Seiten der Union gegen die Sklaverei. Währenddessen wachsen die Mädchen fernab der Front im Städtchen Concord an der amerikanischen Ostküste auf. Gehegt und umsorgt werden sie von ihrer Mutter „Marmee“ und der Haushälterin Hannah. Seitdem der Vater das Familienvermögen verloren hat, leben sie in Armut und zögern doch nicht, denen beizustehen, die noch weniger haben als sie (z. B. einer Flüchtlingsfamilie aus Deutschland). Das fällt auch dem wohlhabenden großväterlichen Nachbarn und dessen schalkhaftem Enkel Laurie auf. Die beiden beginnen, die Familie nach besten Kräften unterstützen. Das erste Buch der vierteiligen „Little Women“-Reihe endet mit der Wiedervereinigung der Familie und mit Megs Verlobung.
Unverwechselbare Frauenfiguren
Louisa May Alcotts Roman spielt ausschließlich im heimischen Umfeld. Es wird genäht, Tee getrunken, Kleider werden anprobiert und die Abende sind bestimmt vom gemeinsamen Singen. Zwar sind die Armut und die kriegsbedingten Entbehrungen durchweg spürbar, doch Marmee hält die Moral aufrecht und die Mädchen bei Laune. Vor allem die Unterschiedlichkeit der Frauenfiguren, der Blick auf ihr Denken und Fühlen und der Mut, sie für die damalige Zeit ungewöhnliche Wege gehen zu lassen, machen „Little Women“ zu einem modernen Klassiker.
Daneben gibt es auch kleine feministische Befreiungsschläge: Jo tollt mit Laurie ganz undamenhaft über Stock und Stein und schneidet sich schließlich die Haare ab. Derweil verfolgt die junge Amy ernsthaft eine Karriere als Künstlerin und gibt sich nicht mit den angemessen langweiligen Aquarelllandschaften zufrieden. Meg sagt ihrer übergriffigen Tante schließlich zum ersten Mal so richtig die Meinung – und Beth? Die Figur der schüchternen Beth ist verzückend liebenswert und in einigen Momenten ungewöhnlich mutig. Doch ob die Familie ernsthaft versucht, Beth zu einer selbstständigen Frau zu erziehen, konnte ich bis zum Ende nicht beantworten.
Ermüdende Belehrungen
Im Laufe des Buchs reihen sich so einige Moralpredigten der Mutter aneinander: Jo sei zu impulsiv, Meg zu sehr auf Komfort fixiert, Amy zu egoistisch und Beth fast krankhaft schüchtern (was merkwürdigerweise nicht problematisch erscheint). Zudem waberten über allem irgendwie religiös aufgeladene Vorstellungen, ohne, dass diese näher konkretisiert wurden.
Nur Marmee wird als ein engelsgleiches Geschöpf mit schier unendlicher Geduld beschrieben. Nie verliert sie ein harsches Wort und immer hält sie eine Lehre für die Mädchen bereit. Das war auf die Dauer ermüdend. Auch der Hinweis auf Marmees früher temperamentvolles Wesen konnte die Eindimensionalität der Figur nicht wettmachen.
Die Welt da draußen
Die Heimeligkeit in „Little Women“ wurde mir irgendwann zu viel. Während draußen ein Krieg tobt, in dem es neben dem Schicksal des Vaters auch um die Sklavereifrage geht, liest niemand Zeitung oder redet über die politischen Entwicklungen. Auch über Marmees Gedanken, deren Mann von einer Front zur anderen tingelt, erfährt der Leser nichts. So emanzipatorisch der Ansatz von „Little Women“ auch sein mag, zumindest im ersten Buch beschränkt die Autorin die Gedankenwelt ihrer Figuren ausschließlich auf den heimischen Bereich. Insgesamt erscheinen viele Szenen, wie das gemeinsame Stricken oder Abendessen im Nachhinein für die Handlung des Romans belanglos. Oftmals tröpfelt die Geschichte vor sich hin und spiegelt damit ein ums andere Mal die Langeweile vorm heimischen Kamin wider.
Fazit
„Little Women“ wartet zwar mit interessanten Frauenfiguren auf, ist insgesamt aber handlungsarm und an vielen Stellen zu moralisierend. Wer die sympathischen Figuren trotzdem kennen lernen will, ist mit der gleichnamigen Verfilmung von Greta Gerwig oder dem preisgekrönten Roman „March“ von Geraldine Brooks besser bedient.
Louisa May Alcott, „Little Women“, 1868, ist Teil der Klassiker-Leseliste.
Alle Artikel der Reihe:
Louisa May Alcott: Little Women (1868) Little Women Special 1/3
Literaturverfilmung: Little Women (2019) Little Women Special 2/3
Geraldine Brooks: March (2005) Little Women Special 3/3
Die gesamte Buchreihe:
1. Little Women I
2. Little Women II (auch unter dem Titel „Good Wives“)
3. Little Men
4. Jo’s Boys
Weitere Meinungen zum Buch gibt’s u. a. bei:
Ant1heldin mit einem Vergleich zwischen Buch und Film
Das Buch selbst habe ich noch nicht gelesen, den Film inzwischen aber gesehen – aber da ging es mir irgendwie auch so: Zu viele schöne Bilder, zuviel Harmonie, die Mutter immer so milde, selbst wenn sie sagt, sie sei jeden Tag ihres Lebens wütend – mich liess der Film irgendwie kalt.
Liebe Birgit,
das Gefühl, mit dem du aus dem Film gegangen bist, kann ich sofort nachvollziehen. Dabei hatte der Film schon viel mehr emotionalen – und auch sonstigen – „Pep“ als die Ursprungsgeschichte. Aber gerade mit der Figur der Mutter habe ich auch sehr gehadert. Im Film empfand ich sie zwar schon als menschlicher als in den Büchern, langweilig war sie dennoch.
In einem Interview zu ihrem Roman „March“ erzählt die Autorin Geraldine Brooks, dass ihre Mutter ihr schon als Kind gesagt habe, niemand sei so ein „goody-goody“ wie Marmee aus Little Women. Brooks lässt Marmee dann in ihrem Roman auch mal toben und schreien – seitdem habe ich mich mit der Figur ausgesöhnt. 😊
Wirst du „Little Women“ noch lesen?
Zwar bin ich mal wieder immens spät dran mit dem Lesen, finde es aber sehr cool, dass du dich Alcott und den Little Women in einer Reihe widmest! Freue mich schon auf die weiteren Beiträge. Vor einer halben Ewigkeit habe ich mal den Anime gerewatched und danach die ältere Verfilmung mit Wynona Ryder und Christian Bale geschaut und war eigentlich danach sehr versessen drauf das Buch zu lesen. Aber irgendwie machte mir die Recherche über das Buch den Eindruck, dass es doch zu heititeiti (wie schreibt man das?) ist und gar nicht so feministisch wie ich (und besagte Medien) es bisher ausgelegt haben.
Da würde mich deine Meinung interessieren? Ich habe irgendwo sprichwörtlich gelesen, dass die Mädchen zu guten Ehefrauen erzogen werden etc.
Natürlich muss man damit vorsichtig sein das anklagend zu sehen und weiter die Nuancen betrachten. Man muss ja nicht gleich mit der Feminismus-Keule um sich schlagen, es geht ja auch in leiseren Tönen. Aber trotzdem … XD
Ich freu mich, dass du mitliest!
Also insgesamt ist der Roman schon sehr betulich. Man könnte es – wenn man es darauf anlegt – als feministischen Ansatz deuten, dass sich die Autorin überhaupt dem häuslichen Leben und „Frauenthemen“ wie kochen, putzen und eben den sonstigen täglichen Beschäftigungen junger Mädchen widmet. Auch, dass ihre Figur Jo später als ledige Frau in die Stadt zieht, um dort Schriftstellerin zu werden, könnte man als feministischen Ansatz lesen.
Aber im Gegensatz zu anderen Werken der Zeit (ich denke insbesondere an die kanadische Anne auf Green Gables-Reihe; „Daddy Long Legs“ habe ich noch nicht gelesen), sind die Ansatzpunkte nur schwach ausgeprägt. Das Werk als feministischen Roman oder gar als „seiner Zeit weit voraus“ zu feiern, empfinde ich als übertrieben.
„Little Women“ enthält ein stark moralisierendes (irgendwie christlich angehauchtes, aber schwer konfessionell einzuordnendes), erzieherisches Element. Die Mutter schenkt bspw. den Mädchen erbauliche Schriften, in denen sie jeden Tag lesen sollen, um zu besseren Menschen zu werden. Dabei sind Sanftmut, Fügsamkeit, Güte, Geduld und Anspruchslosigkeit Tugenden, die den Mädchen (und den Leserinnen) vermittelt werden sollen. Eine „gute Partie“ zu machen, ist ein Aspekt der Geschichte, wobei er nicht mehr so selbstverständlich im Vordergrund steht wie etwa bei Jane Austen, sondern die Liebesheirat sich als Prinzip im Hause March verfestigt. Viel dreht sich tatsächlich um Heirat; wobei das Thema mehr Raum einnimmt, je weiter die Geschichte voranschreitet.
Insgesamt ist bei Alcott von „Feminismus-Keule“ keine Spur; wenn man leise Töne hören will, kann man sie bestimmt hören. Aber das Werk als feministisch zu feiern, wirkt definitiv gezwungen. Dann müsste man fairerweise jedes Buch, in dem es um das Leben von Frauen geht, „feministisch“ nennen.
Viele Grüße!