Seit 2013 ruft indiebookday.de am 21. März jährlich dazu auf, die schönsten Bücher aus unabhängigen Verlagen vorzustellen. Anders als die großen Verlagshäuser arbeiten die unabhängigen und meist sehr kleinen Verlage mit geringem Budget, wenigen Mitarbeitern und sind oft auf (heiß begehrte) Fördergelder angewiesen. Dafür setzen die Verlegerinnen und Verleger mit viel Herzblut Buchprojekte um, die von großen Häusern außer Acht gelassen werden.
Im Laufe der Zeit habe ich bei verschiedenen unabhängigen Verlagen Werke entdeckt, von denen viele zu meinen Lieblingsbüchern gehören. Einige dieser Perlen möchte ich euch anlässlich des Indiebookday 2020 empfehlen. Schaut gern auch auf den jeweiligen Verlagsseiten vorbei. Insbesondere in Zeiten von Corona freuen sich die unabhängigen Verlage über jedes verkaufte Buch!
Surab Leschawa – Ein Becher Blut (Edition Monhardt)
Die acht für den Band „Ein Becher Blut“ ausgewählten Erzählungen nehmen den Leser mit in ein Georgien fernab von Bergromantik und Abenteuerurlaub. Der Autodidakt Leschawa stellt die Ausgestoßenen in den Mittelpunkt. Durch die Geschichten des Sammelbandes zieht eine ganze Parade von verarmten, gefangenen, psychisch kranken, homo- oder transsexuellen Figuren. Jeder von ihnen gelingt es auf ihre Weise, den Absurditäten des Alltags die Stirn zu bieten.
Das Werk des georgischen Autors Surab Leschawa liegt fernab des literarischen Mainstreams. Der Band „Ein Becher Blut“ versammelt Erzählungen über Begebenheiten der Sowjetzeit und der folgenden Umbruchjahre. Mit viel Humor und dem Blick fürs Absurde erzählt Leschawa von Verarmung, Verdrängung, religiösem Fanatismus und sexueller Identität.
Julie Otsuka – Als der Kaiser ein Gott war (Lenos)
Die Internierung japanischstämmiger Amerikaner ist ein Thema, das in Literatur und Film nur sehr vereinzelt aufgegriffen wird. Die Schriftstellerin Julie Otsuka hat sich in ihrem bereits 2002 erschienenen Roman „Als der Kaiser ein Gott war“ auf berührende Weise dieses dunklen Kapitels US-amerikanischer Geschichte angenommen und wurde dafür mit dem Asian American Literary Award ausgezeichnet.
Ein bewegendes Buch, dessen Autorin mit wenigen Worten eine der vielen, weniger bekannten Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts schildert.
Rebecca Wait – Das Vermächtnis unsrer Väter (Kein & Aber)
Auf der schottischen Hebriden-Insel Litta geschieht ein schreckliches Verbrechen. Ein Mann erschießt seine Frau und zwei seiner Kinder, zum Schluss sich selbst. Nur der kleine Tommy überlebt, versteckt in einem Wandschrank. Wie kann er mit einer solchen Last leben? Hätten die Bewohner der Insel das Verbrechen verhindern können?
Rebecca Waits Roman ist nicht im eigentlichen Sinne spannend, aber er hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Jede Figur trägt hier die Last ihrer eigenen Schuld an einem Verbrechen, das nur der Täter begangen hat. Der Mensch neigt trotzdem dazu, sich wahlweise selbst zu zerfleischen oder zu verdrängen. Das fängt Rebecca Wait in „Das Vermächtnis unsrer Väter“ ausgezeichnet ein.
Marc Degens – Eriwan (Ille & Riemer)
Als Degens‘ Frau Alexandra eine Stelle als Lektorin beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Eriwan annimmt, zieht er mit ihr in die armenische Hauptstadt. Seine Erfahrungen aus drei Jahren Eriwaner Stadtleben wurden 2018 gesammelt veröffentlicht.
Marc Degens‘ Beschreibungen stammen aus den Jahren 2007–2010. Die Zeit ist seitdem auch in Armenien nicht stehen geblieben; Internethotspots sind in Eriwan allgegenwärtig und werden rege genutzt. Selfies von typischerweise opulenten Hochzeiten oder direkt von der Front in Berg-Karabach sind Alltag. Die von Degens mit einem Augenzwinkern beschriebenen postsowjetischen Zustände wird man aber immer noch vorfinden. Als Einstimmung auf eine Armenienreise oder um kurz das Fernweh zu wecken, eignet sich Marc Degens‘ „Eriwan“ trotz der seit seinem Aufenthalt vergangenen Zeit jedenfalls ausgezeichnet.
Antanas Škėma – Das weiße Leintuch (Guggolz)
Die Sehnsucht nach Litauen vergeht nie. In den geschäftigen Straßen von New York trifft man seine Landsleute; die Literatur – sie lebt im Exil fort. Fernab der sowjetischen Herrschaft schreibt manch einer mit litauischem Nationalpathos, ein anderer pflegt durch zahlreiche Anspielungen Geschichte und Kultur des Landes. Zu letzteren gehört der bereits 1961 verstorbene Dichter Antanas Škėma. Im US-amerikanischen Exil verfasste er mit „Das weiße Leintuch“ sein – zumindest außerhalb Litauens – bekanntestes Werk.
„Das weiße Leintuch“ ist eines der prägenden Werke für die litauische Literatur. Dem Leser, der mit hilfreichen Anmerkungen und Biografien im Anhang erstmals in die litauische Literatur eintaucht, eröffnet sich eine ganz neue Welt, die geprägt ist von Ost und West, so europäisch und dabei doch so fremd.
Martina Altschäfer – Brandmeldungen (Mirabilis)
In ihren Erzählungen beschreibt Altschäfer unterschiedliche Menschen, Orte und Zeiten. Tiere sind selten nur einfache Begleiter, vielmehr prägen sie das Geschehen. Die Geschichten haben auf den ersten Blick gar nichts miteinander gemein, doch ergeben sie in ihrer Auswahl ein stimmiges Ganzes und zeigen eine Welt, in der Unangenehmes nicht ausgespart wird, man sich aber trotzdem zu Hause fühlt.
Ich habe die Erzählungen in einem Rutsch gelesen und hatte bei jeder neuen das Gefühl, dass die Autorin inhaltlich und sprachlich ihren eigenen Ton gefunden hat. Mir gefielen die fantasievollen Begebenheiten und Wendungen der Geschichten sehr und ich hätte dem dicken schwarzen Kater wohl ohne Zögern den Bauch gekrault.
Deborah Feldman – Überbitten (Secession)
Ende März 2020 erscheint bei Netflix die Miniserie „Unorthodox“. Es ist die Lebensgeschichte Deborah Feldmans, die in ihrem Folgewerk „Überbitten“ die sieben Jahre nach dem Ausbruch aus einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in New York schildert.
Siebenhundert Seiten stark ist „Überbitten“ geworden. Man merkt dem Werk an, dass Feldman sich hier eine Menge von der Seele schreiben musste. Wie sie es wollte, gibt sie ihrem ganzen Leben unverkennbar eine erzählerische Struktur und vermeidet Wiederholungen. Man folgt diesem besonderen Lebensweg Seite um Seite in gespannter Erwartung. Ihr erstes Werk „Unorthodox“ sollte man zuvor gelesen haben. Dann kann man sich gut vorbereitet auf dieses fesselnde und sehr persönliche Werk einlassen.
Niroz Malek – Der Spaziergänger von Aleppo (Weidle)
57 kurze Texte, oftmals nur eine halbe Seite lang, die Aleppo zeigen, wie es heute ist. Zerstört, fremdbestimmt, gefährlich. Zwischen Stromausfällen und Explosionen wohnen hier noch Menschen wie der 1946 geborene Schriftsteller Niroz Malek.
Eigentlich möchte man, dass einem jede einzelne dieser 57 Miniaturen vorgelesen wird. Damit sie wirken. Damit man nicht mit den Augen schnell über den Schrecken der Zeilen hinweghuschen kann. Hinweghuschen, weil man es vom täglichen Lesen der Nachrichten aus Syrien mittlerweile so gewohnt ist. Einen feinen älteren Herrn stellt man sich dazu vor, mit müder Stimme aber wachen Augen, der bestimmt, vielleicht auch ein wenig starrköpfig, an seiner Entscheidung festhält, in Aleppo zu bleiben.
Noch mehr Buchtipps zum Indiebookday 2020 gibt’s bei
Meine ausführlichen Besprechungen zu den vorgestellten Büchern findet ihr hier.
Ich habe vor kurzem angefangen die Serie „Unorthodox“ zu gucken und möchte jetzt unbedingt das Buch lesen.
Auch die anderen Bücher, die du hier vorstellst klingen alle lesenswert. Ich bin immer dankbar für Tipps zu Büchern aus Indieverlagen.
Hallo Melanie,
Die Serie „Unorthodox“ habe ich auch in einem Rutsch durchgeschaut. Wie gefällt sie dir bisher? Es ist alles etwas geraffter und einiges aus der Buchvorlage wurde umgemodelt oder komplett weggelassen.
Ich schaue auch immer sehr gern bei den Indie-Verlagen vorbei, da ist die Vielfalt einfach größer! Ein paar ungelesene Indie-Bücher stehen noch hier im Regal, u. a. ein Dorfroman aus Mecklenburg. Weitere Besprechungen folgen!
Viele Grüße!