„Scheintod“ von der schwedischen Autorin Louise Boije af Gennäs ist der zweite Teil der „Widerstands-Trilogie“ um finstere politische Machenschaften und einen ominösen Geheimbund.
Zum Inhalt
Das letzte Jahr in Stockholm hat die 25-jährige Sara – Politikwissenschaftlerin und Ex-Soldatin – ganz schön mitgenommen. Nach einer Vergewaltigung und dem gewaltvollen Tod ihres Vaters musste sie die Ermordung vieler Freunde verkraften. In diesem zweiten Band der Trilogie, „Scheintod“, verkauft Sara ihr hippes Loft und zieht in eine kleine gemütliche Wohnung. Sie beginnt ein Praktikum bei der internationalen Unternehmensberatung McKinsey und versucht sich durch die horrenden Arbeitszeiten vom Grauen der letzten Monate abzulenken.
Doch sie kann die Ereignisse nicht hinter sich lassen, denn ein mächtiger Geheimbund, der sich nur ominös „BSV“ nennt, hat es auf Sara und ihre Familie abgesehen. Erneut häufen sich mysteriöse Vorkommnisse in ihrem Umfeld und diesmal hat BSV auch ihre Mutter und Schwester im beschaulichen Örebro im Visier. Wie gut, dass sie ihre Freundin Sally und den umtriebigen Journalisten Andreas an ihrer Seite hat. Dann kommt auch noch ihr Kollege Johan hinzu, mit dem sie sich in eine Liebesbeziehung stürzt. Aber vertrauen kann sie niemandem.
Das Leben der Stockholmer zum Anfassen
Louise Boije af Gennäs überrascht in „Scheintod“ mit immer neuen Arten, ihre Protagonistin in den Wahnsinn zu treiben. Bei der Mischung von kleinen Gemeinheiten bis hin zu abscheulichen Grausamkeiten kommen Thriller-Fans auf ihre Kosten.
Als Leser hat man den Eindruck, die junge Generation von Schweden in Stockholm wirklich kennen zu lernen. Die Digitalisierung bestimmt die Kommunikation; die Arbeit in multinationalen Konzernen das Leben in der Innenstadt. Auch sprachlich orientiert sich der Roman an der Sprechweise der Menschen in ihren 20ern/30ern und ist vereinzelt mit englischen Phrasen garniert. Mir hat das gut gefallen, ich hatte den Eindruck, bei den Gesprächen der Figuren mit Freunden am Tisch zu sitzen und den Roman genau im richtigen Alter zu lesen.
Das Schicksal des zweiten Teils
Das Schicksal des mittleren Bandes einer Trilogie ist oft, dass er eine Brücke zwischen dem starken Auftaktband und dem abschließenden Finale im dritten Teil bilden muss. Dabei bleibt manchmal die Handlung auf der Strecke oder wird unnötig in die Länge gezogen. Das merkt man leider auch „Scheintod“ an. Anders als der erste Teil, der einem wegen seiner rasanten Handlung fast aus der Hand zu springen droht, geht es in „Scheintod“ gemächlicher zu. Der Leser kennt die Protagonistin und ihre Freunde; die neuen Figuren sind schnell eingeführt.
Der rote Faden, der den ersten Band „Blutblume“ stringent durchzog, ist in „Scheintod“ nicht durchgehend erkennbar. Die Protagonistin Sara hat über weite Strecken des Buches aufgegeben herauszufinden, was es mit dem Geheimbund „BSV“ und dem geheimnisvollen Wirken ihres Vaters auf sich hat. Zwar gibt es sporadisch geführte Gespräche mit der Mutter, die sich immer wieder plötzlich dazu entschließt, über den toten Vater zu reden. Doch die allein können die Handlung nicht tragen. Nach der Hälfte des Romans wirkt es ein wenig, als würden sich nur noch niederschmetternde Ereignisse aneinanderreihen. Die Intensität der Grausamkeiten steigt zwar, einem Erkenntnisgewinn, warum alles passiert, kommt der Leser in diesem zweiten Band aber kein Stück näher.
Resignation und tagesaktuelle Ereignisse
Die kämpferische Protagonistin des ersten Bandes lässt sich insgesamt ein wenig hängen. Sie nimmt Wohnungseinbrüche, Stimmen in ihrem Flur und Mordversuche fast stoisch hin. Den helfenden Freunden aus dem ersten Band vertraut sie plötzlich nicht mehr und führt hierzu Gründe an – mangelndes Selbstwertgefühl, Mobbingerfahrungen – die ich seit „Blutblume“ für überwunden hielt. Dafür stolpert sie fast schon vorhersehbar von einer bedrohlichen Situation in die nächste. Die resignierte Haltung und die Grausamkeit der Ereignisse passen für mich nicht so recht zusammen.
Ambivalent ist, dass die Autorin an einigen Stellen auf tagesaktuelle Ereignisse Bezug nimmt. So ging es um den Nervengiftanschlag auf den ehemaligen russischen Ex-Agenten Skripal, den Tod des Musikers Avicii und den Eurovision Songcontest 2018. Das verlieh dem Roman zwar gewisse Aktualität. Aber eine taggenaue Einordnung der Handlung ist für die Geschichte gar nicht nötig. Schon jetzt – zwei Jahre nach Erscheinen des Buches in Schweden im Jahr 2018 – wirken diese Passagen überholt.
Fazit
Im Vergleich zum ersten Band machen sich bei „Scheintod“ einige Schwächen bemerkbar. Das ist zum Teil dem Umstand geschuldet, dass es sich um ein Bindeglied zwischen Auftakt- und Abschlussband handelt. Die plastischen Figuren und die angenehme Sprache des Romans trösten aber darüber hinweg und machen Lust auf das Finale.
Boije af Gennäs, „Scheintod“, OT: Skendöda, aus dem Schwedischen von Ulrike Brauns, 528 Seiten, Europaverlag 2020.
Weitere Meinungen zum Buch bei
Alle Bände der Widerstands-Trilogie
Band 1: Blutblume
Band 2: Scheintod
Band 3: Feuerrache
2 Gedanken zu „Louise Boije af Gennäs: Scheintod (2020)“