Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug von Kurt Vonnegut ist ein Buch, das ich auch nach viel Nachdenken nicht einordnen kann. Helft mir auf die Sprünge!
Der Namen des US-amerikanischen Autors Kurt Vonnegut wabert durch die Popkultur. Zuletzt ist er mir in der Serie „Stranger Things“ über den Weg gelaufen. Fast schon Kult-Charakter sollen seine Bücher haben. Das wollte ich genau wissen und habe zu einem gegriffen, das in meiner derzeitigen Wahlheimat Dresden spielt: Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug.
Darum scheint’s zu gehen
Was soll ich sagen? Das Buch war dermaßen abgefahren, das ich einfach nicht schlau daraus wurde. In einer ausgefallenen Technik mit vielen Zeitsprüngen beschreibt Vonnegut seine Rückkehr (oder die seines Alter Egos?) nach Dresden. Als Kriegsgefangener hat er dort die Bombardierungen vom 13. bis 15. Februar 1945 und die Zerstörung großer Teile der Stadt miterlebt. Untergekommen in einem Schlachthof überlebte er.
Danach schildert er die Geschichte Billy Pilgrims. Billy Pilgrim ist absolut desorientiert und die Zeit gerät für ihn „aus den Fugen“, sodass er (und der Leser gleich mit), wahllos zu verschiedenen Zeitpunkten in seinem Leben springen kann. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – alles kein Problem. Gern erinnert er sich an die Zeit seiner Gefangenschaft auf dem Planeten Tralfamadore, wo er wie ein Zootier gemeinsam mit einer bekannten Schauspielerin in einer Glaskuppel gehalten wird. Wenn er Pech hat, springt er zurück in seine Kriegserlebnisse, manchmal findet er sich im Kreis seiner Familie wieder.
Am Ende findet sich Billy Pilgrim damit ab, dass er alles schon kennt, nichts Neues mehr erleben wird und alles immer schon gewesen ist. Dieser Fatalismus macht ihn dann weltweit bekannt. Oft wird er auch schlichtweg für verrückt gehalten.
Metafiktion…?
Dieses Buch hat mich ratlos zurückgelassen. Es war definitiv ein Anti-Kriegsbuch und eine einmalige Lektüreerfahrung. Ich plane, es mit mehr Hintergrundwissen irgendwann noch einmal zu lesen. Kurt Vonnegut erzählt seine Geschichte auf eine so ungewöhnliche Weise, dass man als Leser nie sicher sein kann, was einen auf der nächsten Seite erwartet. Wo und wann man sich wiederfinden wird.
Aber wie passen die Kriegstraumata des Autors mit jenen seines Protagonisten zusammen? Warum der schon fast satirisch wirkende Science-Fiction-Anteil? Warum die vielen (zusammenhangslosen) Zeitsprünge? Warum die Einleitung mit der eigenen Rückkehr nach Dresden, nur, um dann seine Geschichte an einen fiktionalen Charakter abzugeben?
Fragen über Fragen. Habt ihr das Buch gelesen? Was meint ihr dazu? Habt ihr vielleicht Empfehlungen zu Hintergrundlektüre?
Kurt Vonnegut, Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug (OT: Slaughterhouse-Five, or, The Children’s Crusade: A Duty-Dance with Death, 1969, aus dem Amerikanischen von Kurt Wagenseil), diese Ausgabe: Hoffmann und Campe 1970, 236 S.
Weitere Meinungen zu Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug bei
Litterae Artesque Dresda
Gewisperte Worte
Buchlingreport
Miss Booleana
Vonnegut war eine gespaltene Persönlichkeit, psychisch wohl nicht ganz gesund. Vielleicht hilft es, sich mal mit der Biografie näher zu befassen. Mir fiel die Lektüre auch nicht leicht. Außerdem hat Vonnegut auf alle möglichen Angaben zurückgegriffen, die nicht erst heute umstritten sind.
https://litterae-artesque.blogspot.com/2013/11/vonnegut-kurt-schlachthof-5.html
Ich habe das Buch nicht gelesen, weshalb ich die Fragen kaum beantworten kann, aber die Fragen machen mich schon ein wenig neugierig auf das Buch.
Wenn ich einen Zusammenhang konstruieren müsste, würde ich sagen, dass Traumata wie auch Zeitreisen einen aus der Zeit reißen – man lebt nicht mehr nur im jetzt. Wie stark verändern einschneidene Erlebnisse einen Menschen? Wenn man davor man selbst war, wer ist man dann danach? Wenn der Wahnsinn zur die Realität wird, muss man sich vielleicht Fiktionen aufzwingen um bei Verstand zu bleiben?
Sehr interessante Gedanken. Vonnegut verstärkt über den Ansatz seiner Kriegstraumatisierung zu lesen, ist nach allem, was ich zum Werk gelesen habe, wohl wirklich sinnvoll. Ich muss aber auch gestehen, dass mir Sprache und Aufbau nicht so gut gefallen haben, als dass ich gleich noch einmal etwas von ihm Lesen würde. Diese Art der Traumabewältigung war für mich als Außenstehende viel schwieriger einzuordnen und nachzuvollziehen als etwa Geschichten von Imre Kertész oder Dalia Grinkevičiūtė (die fallen mir aus dem der letzten Zeit Gelesenen zuerst ein). Zuletzt wurde Vonneguts Schlachthof hier in Dresden auf die Bühne gebracht, wäre die Lage nicht gerade, wie sie ist, wäre ich auf jeden Fall hingegangen. Bestimmt ermöglicht eine szenische Aufarbeitung auch noch einmal einen anderen Interpretationsansatz. Danke für deinen Kommentar!
Au ja, das Buch gibt eine ganze Menge Futter und Stoff zum diskutieren. Ich habe das in unserem „Arbeits-Buchclub“ vorgeschlagen und meine wir haben auch eine ganze Weile darüber diskutiert.
Ich denke es ist so angedacht, dass Billy Pilgrim eine große Metapher auf Kriegstraumata ist. Aber nicht zwingend, dass er selber Vonnegut ist oder sein Alter Ego. Sondern vielleicht eine Mischung aus vielen überforderten jungen Männern, die doch eigentlich nur versuchen irgendwie heil aus der Nummer rauszukommen. Er ist ja komplett hilflos und überlegt das alles mehr aus Dusel. Und weil ihn das so traumatisiert, bildet er sich das mit den Aliens ein!? Es gibt halt für beides Wege zur Argumentation. Dass er wirklich bei den Aliens war, dann hat es etwas tragikomisches. Oder dass es alles ein Ausdruck von PTBS ist.
Was ich überraschend fand an dem Buch und weswegen ich den Vonnegut genial finde ist wie er den Tod zu etwas allgegenwärtigem macht, ohne den zu trivialisieren. Bspw. mit seinem „Wie das so ist“. Ich wusste stellenweise gar nicht was ich bei dem Buch fühlen soll. Mitleid und Bestürzung, oder finde ich es witzig!? Es war beides und ich schämte mich manchmal richtig dafür. Aber so genial ich den Vonnegut finde, ist es zu schwer einzuordnen, als dass ich es mein neues Lieblingsbuch nennen könnte …
Und was ich heute wieder gelernt habe: in Stranger Things?? Das muss total an mir vorbei gegangen sein! 😀 Wo wird denn da der Vonnegut erwähnt?
Ich hab es auf der Wunschliste, habe aber schon den Verdacht, dass ich auch nicht gut mit Vonnegut klarkommen werde. Ein älterer Booktuber, den ich schaue, der so ziemlich alles gelesen hat und professioneller Rezensent ist, hält Vonneguts Werke für totalen Müll, was für mich auch schon ein Warnzeichen ist. (Er hasst beispielsweise auch Faulkner und der war für mich auch ein totaler Reinfall…). Werde aber offen an das Buch herangehen. Bin gespannt.
Puh, ich war – mit jetzt genügend Abstand – auch eher enttäuscht. Ich verstehe den popkulturellen Hype, der sich auf die abgefahrenen Ideen des Autors stürzt, aber für diese Art des Erzählens (wildes Hin- und Herspringen in Zeit und Raum ohne erkennbaren äußeren Zusammenhang) bin ich wohl eine zu konservative Leserin.
Von Faulkner habe ich noch nichts gelesen, aber wenn du „totaler Reinfall“ schreibst, bin ich interessiert, denn das mir ein Buch ausgesprochen schlecht gefällt, kommt (vielleicht wegen der Vorauswahl) echt selten vor. Derzeit ist der Stapel ungelesener Bücher noch wahnsinnig hoch, aber wenn ich über Faulkner stolpere, sag ich Bescheid. Ich bin gespannt, was du zu Vonnegut sagst!
Leider ist es zu lange her (gute 10 Jahre), dass ich „Schlachthof 5“ gelesen habe. Ich bin völlig unvoreingenommen an die Geschichte gegangen und obwohl ich Bücher mit Kriegsthematik eher meide, hat mich das Buch sehr begeistert.
Oh, weißt du noch, warum es dir so gut gefallen hat? Mir war es zu abgedreht, gerade die Zoo-Passagen gegen Ende des Buches haben mich aus dem Konzept gebracht.