Annemarie Schwarzenbach, Schweizer Fotografin und Schriftstellerin, erzählt in „Das glückliche Tal“ von ihren Erfahrungen als homosexuelle Frau bei einem Nomadenstamm im Iran des Jahres 1935. Ein erstaunliches und persönliches Buch, das Einblick in eine vergangene, fremd anmutende Zeit gibt.
Annemarie Schwarzenbach ist eine gute Beobachterin und gibt ihre Erfahrungen sowohl durch beeindruckende Fotos untergegangener Stätten, z. B. in Syrien, als auch eine bildreiche, gefühlvolle Sprache wieder. Sie schafft es, durch eindringliches und ungekünsteltes Erzählen ihr Erleben auf dem iranischen Hochplateau direkt erfahrbar zu machen. Die Leserin spürt die allmächtige Präsenz des mystischen Berges Damavand und die unendliche Weite des Himmels über der kargen Landschaft. Wie klein und verloren sich Schwarzenbach angesichts dieser großartigen Natur fühlte, macht sie deutlich:
Dieses furchtbare Zwielicht, diese tödliche Größe! – Das war mir nicht bestimmt, dem war ich nicht gewachsen […]
S. 46
Doch ebenso deutlich wird, wie leidgeplagt die Schriftstellerin in dieser späten Phase ihres Lebens und Schaffens war. „Das glückliche Tal“ entstand 1939 während eines Aufenthalts in einer Drogenentzugsklinik, drei Jahre vor ihrem Tod.
Reisen mit Dämonen
Zu Beginn des Werkes überwiegen noch Schilderungen von Land und Leuten. Es ist ein vergangenes persisches Reich, betrachtet mit einer Prise Orientalismus, wenn Schwarzenbach mit der westlichen Community bei Tee und Snacks am Lagerfeuer bedient wird. Diese kritischen Eindrücke überwiegen aber nicht, denn ebenso findet sich die Autorin vom Malariafieber geschüttelt und abgemagert in einem nomadischen Zelt wieder und die heimatliche Schweiz mit ihren Annehmlichkeiten erscheint sehr weit entfernt.
Doch im Laufe des Romans werden die Passagen zunehmend dunkel. Schwarzenbach berichtet vage vom unerfreulichen Erwachen nach einem Morphiumrausch, von der schmerzhaften Liebe zu einer türkischen Frau und dem Suizid von Freunden und Bekannten. Eine unheilvolle Mischung aus Angst, einem Gefühl der Heimatlosigkeit, Unrast und Depression zieht sich durch die Zeilen.
Ich brauche lang, um wach und meiner Sinne wieder mächtig zu werden, dann erst gewahre ich das Schrecknis, dem Leben noch anzugehören, heimatlos, gnadenlos, preisgegeben diesem Land […]
S. 160
Annemarie Schwarzenbach erscheint in ihren Erinnerungen als Suchende; als ein Freigeist, der sich sicher innerhalb der internationalen Gemeinschaft des jeweiligen Gastlandes bewegt, polyglott, gebildet und dabei doch verletzlich und unendlich allein. Ihre Reisen wirken wie ein Tasten, ein Taumeln zwischen heilenden, lichten Momenten und exzessiver Selbstzerstörung.
Fazit
Mit dem Roman „Das glückliche Tal“ und den abgedruckten Originalfotografien eröffnet Annemarie Schwarzenbach uns einen Blick in eine vergangene Welt, in der entlegene Winkel noch wirklich unerreichbar waren und in der man für Monate aus dem Leben entschwinden konnte. Die eigenen Dämonen folgten einem dennoch auf Schritt und Tritt – auch das wird in dem Roman deutlich. Ein faszinierendes Buch, das einen verändert – sei es erleichtert, bedauernd oder voller Mitgefühl – zurücklässt.
Annemarie Schwarzenbach, Das glückliche Tal, Lenos Verlag 2020, Paperback (mit 20 Fotos von der Autorin), 183 S., 14,50 €.
Der Schweizer Lenos Verlag verlegt seit den 1980er Jahren das Gesamtwerk von Annemarie Schwarzenbach.
Eine Besprechung in Form eines persönlichen Briefes an die Autorin gibt’s auf dem Blog Frauen mit Bärten.
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Ein Gedanke zu „Annemarie Schwarzenbach: Das glückliche Tal (1939)“