Das Jahr 2020 stand für mich vor allem unter dem Stern der Examensvorbereitung auf die Klausuren im Dezember. Gelesen habe ich deshalb vor allem nach Lust und Laune und nach Interesse – oft abseits dessen, was gerade auf den Bestsellerlisten angesagt war.
Um ein wenig Auflockerung die Buchbesprechungen auf diesem Blog zu bringen, habe ich die Gedankenspielereien „Bist du ein Buch-Snob?“ und „Das hätte dieses Buch überhaupt nicht nötig gehabt“ verbloggt. Das werde ich beibehalten, weil ich so auch ab und zu über Bücher, die sonst auf diesem Blog eher nicht zur Sprache kommen, schreiben kann (Stichwort: guilty pleasure).
Besondere Freude hatte ich in diesem Jahr an den Twitter-Leserunden, die sich online richtig gut eingegroovt haben und immer interessante Denkanstöße liefern (ganz abgesehen vom herrlichen Lästern über unausstehliche Romanfiguren!). Zusammen gelesen haben wir „Rebecca“ von Daphne du Maurier, „20.000 Meilen unter dem Meer von Jules Verne“ und gerade jetzt „David Copperfield“ von Charles Dickens. Nach einem wunderbaren zweibändigen Weihnachtsgeschenk hoffe ich im nächsten Jahr auf eine Leserunde zu Tolstois „Krieg und Frieden“.
Das sind sie also, meine besten Bücher aus dem Jahr 2020:
Daphne du Maurier: Rebecca
Eine junge, mittellose Frau trifft einen wohlhabenden Witwer und folgt ihm auf sein Anwesen an der britischen Küste. Doch dort wird sie vom Geist seiner verstorbenen Frau verfolgt und deckt das finstere Geheimnis um ihren Tod auf.
„Rebecca“ hat mir richtig Spaß gemacht, weil die Autorin du Maurier ihre Leser gekonnt ins Herrenhausleben in den 1930er Jahren entführt und es dabei an Spannung und Grusel nicht fehlen lässt. In der Tradition des Gothic Novel geschrieben, finden sich in dem Buch heute sehr streitbare Frauenfiguren, über die sich auch im Rahmen der Leserunde zum Buch herrlich diskutieren ließ.
Michi Strausfeld: Gelbe Schmetterlinge und die Herren Diktatoren
In ihrem Überblickswerk stellt Michi Strausfeld die wichtigsten Werke der lateinamerikanischen Literaturgeschichte vor. Sie beginnt dabei mit den Schriften der ersten Missionare auf dem Kontinent und endet mit den gewaltvollen Romanen über Kartell-Kriminalität und Flucht in die USA. Dazwischen finden sich neben den großen Namen Gabriel García Márquez, Alejo Carpentier und Mario Vargas Llosa eine Vielzahl von anderen AutorInnen und Werken, die es noch nicht ins Bewusstsein des europäischen Literatur-Mainstreams geschafft haben.
Durch Michi Strausfeld habe ich erstmals einen Blick auf die ungeheure Bandbreite lateinamerikanischer Literatur, ihrer AutorInnen und Themen bekommen. Der oft genannte „Magische Realismus“ ist nicht einmal die Spitze des Eisbergs dessen, was der Kontinent zu bieten hat. Besonders gefreut hat mich, dass viele der besprochenen Werke in deutscher Übersetzung vorliegen, wenn sie auch nur noch antiquarisch zu bekommen sind. Nach der Lektüre mit Bleistift in der Hand und unzähligen Klebezetteln habe ich eine Großbestellung an Büchern aufgegeben, die ich im nächsten Jahr hier nach und nach vorstellen möchte. Ganz am Anfang wird ein Reread von Gabriel García Márquez‘ „Hundert Jahre Einsamkeit“ stehen.
Cho Nam-Joo: Kim Jiyoung, Born 1982
Cho Nam-Joo erzählt die Geschichte der augenscheinlich absolut durchschnittlichen südkoreanischen Frau Kim Jiyoung. Durchschnittlich was ihre Familie, ihre Ausbildung, ihre Ambitionen und ihren sonstigen Werdegang betrifft, strengt sie sich an, um es einmal besser zu haben als ihre Eltern. Dabei schildert sie fast beiläufig die Diskriminierung, der sie als Frau durch die südkoreanische Gesellschaft ausgesetzt ist.
Cho Nam-Joos „Kim Jiyoung, Born 1982” hat mich unglaublich beeindruckt. Wie kann es sein, dass die Diskriminierung von Frauen in einem der fortschrittlichsten Länder der Welt immer noch so fest verankert ist und ihren Höhepunkt mit dem Eintritt in die Mutterrolle erreicht? Dann habe ich an meine eigene Erziehung gedacht und erschreckend viel wiedererkannt. Mit dem Buch setze ich mich seit Monaten auseinander und habe bislang noch nicht die richtigen Worte für eine Besprechung gefunden. Bestimmt wird es anderen gelingen, denn das Buch erscheint 2021 auch in deutscher Sprache.
Herta Müller: Atemschaukel
Herta Müller schreibt die Geschichte des 17-jährigen Leo, der als deutschsprachiger Rumäne aus seinem Dorf fortgeholt wird und ab 1945 für fünf lange Jahre Zwangsarbeit in einem russischen Lager leisten muss. Zu Hause begann er gerade, seine Homosexualität heimlich auszuleben, doch das rückt für die nächsten Jahre völlig in den Hintergrund, denn im Lager kämpft er allein um sein Überleben.
Von meiner Klassiker-Leseliste konnte mich in diesem Jahr nur Herta Müller so richtig fesseln. Dafür dann aber auch richtig. „Atemschaukel“ ist eines der besten – wenn nicht sogar das beste – Buch, das ich bisher gelesen habe. Die Lektüre ist unglaublich bedrückend, stellenweise qualvoll, die Sprache dabei so poetisch, fast sanft, was den Schrecken des Gulag-Lebens aber nicht dämpfen kann. „Atemschaukel“ war ein so forderndes Buch, dass ich nicht weiß, ob ich mir wirklich wünschen soll, bald wieder auf etwas Vergleichbares zu stoßen.
Das waren sie, meine besten Bücher 2020. Ich bin sicher, dass auch im neuen Jahr wieder viele Schätze darauf warten, gehoben zu werden. Welche Bücher haben euch dieses Jahr begeistert?
Frohes neues Jahr! Und ein großes Sorry, ich verliere deinen Blog immer aus den Augen, weil die Beiträge ja nicht im Reader erscheinen. Ich lasse den Tab jetzt einfach geöffnet 🙂
Frohes neues Jahr! Warum der Blog nicht im Reader erscheint, ist ein Geheimnis, dass ich immer noch nicht lüften konnte. Schade! Schön, dass du trotzdem hierher findest!
Hallo Jana!
Deine Highlights von 2020 klingen alle sehr interessant. Da werde ich mir auf jeden Fall nochmal nähere Informationen anschauen und dann bestimmt das ein oder andere Buch noch lesen. Gerade das Buch „Kim Jiyoung, Born 1982“ hat mein Interesse geweckt, aber da ich fast gar nicht in englisch lese, warte ich dann wohl doch auf die deutsche Übersetzung.
Liebe Grüße
Diana
Hallo Diana! Gerade jetzt versuche ich mich an einer Besprechung zu „Kim Jiyoung, Born 1982“ und finde es immer noch schwierig, das Buch vollkommen zu erfassen. Schön, dass dich schon die Kurzempfehlung angesprochen hat; ich denke, es wird nach seinem Erscheinen auf Deutsch noch mal einige Aufmerksamkeit bekommen.
Viele Grüße
Jana
Oh, spannendes und diverses Best-of! 😀 Und die Leserunden haben mir auch sehr viel Spaß gemacht. Wobei ich gleich mal wieder bei #BarkisWill reinschaue.
Viele liebe Grüße
Ja! Dabei habe ich im letzten Jahr nicht einmal besonderen Wert darauf gelegt, möglichst viele Romane und Sachbücher von Autorinnen zu lesen, es hat sich einfach ergeben. Ist vermutlich ein gutes Zeichen. 🙂 Die Leserunden sind immer super. Bei Dickens Copperfield hatte ich in den letzten Tagen einen kleinen Hänger (bin gerade in den 30er-Kapiteln), aber ich werde dieses Wochenende noch das eine oder andere Kapitel lesen. Wärst du für Tolstois „Krieg und Frieden“ zu begeistern, oder hast du das schon gelesen? Viele liebe Grüße!