Vom „Bürohengst“ zum Ultramarathonstar – in seinem Buch „Ultramarathon Man“ beschreibt Dean Karnazes seinen ungewöhnlichen Lebenswandel.
Es gibt ja diese Bücher, die objektiv ziemlich schwach geschrieben sind und sich trotzdem in einem Rutsch durchlesen lassen, weil die Story so fesselnd ist. „Ultra Marathon Man. Aus dem Leben eines 24-Stunden-Läufers“ von Dean Karnazes ist eines davon.
Die Geschichte lief mir im örtlichen Bücherschrank gerade zu einer Zeit über den Weg als ich das – zugegebenermaßen unheimlich quälende – Training für den ersten Halbmarathon ruhen ließ. Zum einen, weil der Marathon aufgrund der Pandemie abgesagt worden, zum anderen, weil mit der schlimmsten Erkältung seit langer Zeit ans Laufen nicht zu denken war. Hätte sich der Autor Dean Karnazes an meiner Stelle vom Laufen abhalten lassen? Klare Antwort nach der Lektüre: niemals.
Zum Inhalt
Dean Karnazes ist als Kind eine Sportskanone. Insbesondere das Trailrunning, bei dem man sich seinen Weg über Stock und Stein selbst sucht, hat es ihm angetan. Er gewinnt einige Wettbewerbe und hätte vielleicht sogar eine Karriere als Sportler vor sich. Doch als seine jüngere Schwester bei einem Autounfall ums Leben kommt, verliert er den Halt, beginnt gar mit Alkohol und Drogen zu experimentieren. Er fängt sich wieder, schließt erfolgreich die Universität ab und heuert in einem Unternehmen an. Sein üppiges Gehalt ermöglicht ihm den Kauf eines Hauses für sich und seine Frau, schicke Anzüge und schnelle Autos. Trotzdem wird das Gefühl einer inneren Leere immer größer. Am Abend seines 30. Geburtstages wird es übermächtig und Dean beschließt, etwas dagegen zu tun. Er besinnt sich auf das Laufen und das Glück, dass er dabei empfunden hat und läuft noch – angetrunken und übermüdet – in der Nacht seines Geburtstages in Unterhose und Seidensocken 30 Meilen (48 km). Das Feuer war entfacht und führte ihn bis zu 100-Meilen-Rennen (161 km) und mehr.
Mein Eindruck
„Ultramarathon Man“ von Dean Karnazes ist bestimmt kein literarisches Highlight: Die Sprache empfand ich als unausgereift und als einen keiner Logik folgenden Wechsel zwischen fast poetischen Landschaftsbeschreibungen und Schenkelklopfer-Dialogen. Aber Karnazes‘ Geschichte ist unheimlich inspirierend – und das war es, was das Buch zum Bestseller gemacht hat. Selbst als Nichtläufer oder Couch Potato fiebert man mit, wenn der Autor von seinem schweißtreibenden Kampf gegen Ganzkörperschmerzen berichtet und sich kriechend bis zur Ziellinie schleppt. Man kommt nicht umhin, die unbedingte Willenskraft des Sportlers und die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers zu bewundern.
Besonders spannend fand ich den Bericht darüber, wie Dean Karnazes sein zeitintensives Lauftraining mit einem Vollzeitjob und seinem Familienleben vereinbart. Er beschreibt sich zwar als gut organisiert und einen Frühaufsteher (vier Uhr morgens!), trotzdem wurde ich den Gedanken nicht los, dass unweigerlich etwas auf der Strecke bleiben muss, wenn man noch vor dem Frühstück zwei Marathons laufen will.
Dick aufgetragen
Als sehr dick aufgetragen, vielleicht auch als sehr amerikanisch, empfand ich dann auch die sorgsam komponierte Erweckungsgeschichte am Abend seines 30. Geburtstages. Denn im Ernst: Wer aus dem Stand angetrunken und übermüdet mal eben so 48 km läuft, kann so untrainiert nicht gewesen sein. Die Spendenläufe für kranke Kinder sind bewunderns- und nachahmenswert, doch auch hier wurde für meine Lesegewohnheiten etwas zu sehr auf die Tränendrüse gedrückt. Zuletzt erscheint der Hinweis auf dem Cover „Inkl. Ernährungs- und Fitnesstipps“ sehr euphemistisch: Tatsächlich beschränken sich diese Tipps auf den Hinweis, möglichst langsam zu verdauende Kohlenhydrate und wenig Zucker zu essen und einfach bis zum Umfallen zu trainieren.
Motivierend
Abgesehen von diesen Schwächen ist „Ultramarathon Man“ von Dean Karnazes ein sehr inspirierendes Buch, das richtig Lust aufs Laufen macht. Er berichtet von Läufen, die bei fast 50 Grad Celsius in der Wüste stattfinden und von einer Marathon-Reise zum Südpol. Karnazes beschreibt sehr eindringlich die Schmerzen, die er auch als erfahrener Läufer nach 50, 100 und 150 km spürt und lässt keinen Zweifel daran, was es für eine Herausforderung für Körper und Geist bedeutet, solche Strecken zu laufen. Für mich als leidliche Hobbyläuferin ist das alles faszinierend gewesen. Die körperlichen Herausforderungen eines 100 oder 150 km langen Laufes kann ich mir schlicht nicht vorstellen, weil ich keine Ahnung habe, wie der Körper auf solche Belastungen reagiert. Deshalb war es umso spannender, diese Berichte einmal „aus erster Hand“ zu erhalten. Beim Lesen stellt sich sofort die Lust sein, selbst wieder die Laufschuhe zu schnüren und loszulegen.
Fazit
„Ultramarathon Man“ von Dean Karnazes ist literarisch sicher kein Highlight, dafür aber eine inspirierende Liebeserklärung an den ältesten Sport: das Laufen.
Wissenstipp: Ultramarathon, Training, Sportveranstaltungen
Dean Karnazes, Ultramarathon Man. Aus dem Leben eines 24-Stunden-Läufers, aus dem Amerikanischen von Edward Krause, OT: Ultra Marathon Man. Confessions of an all-night-runner, Riva Verlag 2007, 10€.
Weitere Meinungen zu Ultramarathon Man von Dean Karnazes
Jon Penland [englisch]
Your Running Life [englisch]
Ein Gedanke zu „Dean Karnazes: Ultramarathon Man (2007)“