[Roman] Claire Lombardo: Der größte Spaß, den wir je hatten (2019)

Der größte Spaß, den wir je hatten von Claire Lombardo war leider nicht der größte Spaß, den ich je hatte. Warum diese amerikanische Familiengeschichte über vier Töchter für mich leider ein Reinfall war.

Der größte Spaß, den wir je hatten 1

Zufallsfund im Bücherschrank

Der größte Spaß, den wir je hatten war ein Zufallsfund im Bücherschrank. Titel, Cover und Kurzbeschreibung sprachen mich an und das Buch war auch nicht total zerfleddert. Also hab ich’s eingepackt und jetzt im Rahmen der #23für2023-Herausforderung zu diesem Familienroman gegriffen. Mit enttäuschendem Ergebnis.

Zum Inhalt

Der größte Spaß, den wir je hatten ist ein buntes Gemisch aus Perspektivwechseln und Zeitsprüngen über einen Zeitraum von ca. 40 Jahren. Im Mittelpunkt stehen das US-amerikanische Ehepaar Marilyn und David sowie ihre vier erwachsenen Töchter Wendy, Violet, Liza und Grace. Hinzu kommen deren Partner, Liebschaften und minderjährige Kinder.

 

Eine stringent vorangetriebene Handlung war auf den über 700 Seiten nicht auszumachen. Vielmehr reiht Claire Lombardo episodenhaft verschiedene kleine und große Begebenheiten im Leben der sechs Protagonisten und Protagonistinnen aneinander. Hier ist dann alles dabei, was eine romanhafte Familiengeschichte so ausmachen kann: Das Kennenlernen der Eltern, die Geburt ihrer Kinder, Eheprobleme, das Kleinkind- und Jugendalter, Stress im Job, Verlust von nahen Angehörigen, Auftauchen von Adoptivkindern und die ständige Sorge darum, ob der Nachwuchs wohl im Leben zurechtkommen wird.

Meinung
Fehlende Handlung, fehlende Stringenz

Was in der Inhaltsangabe schon anklingt, ist zugleich mein größter Kritikpunkt an diesem Roman: Ich konnte keine stringent vorangetriebene Handlung ausmachen. Immer wieder unterbrochen durch die keiner Chronologie folgende Rückblenden und Perspektivwechsel reiht sich eine Lebensepisode an die nächste. Dabei behandelt die Autorin die einzelnen Ereignisse oftmals nicht abschließend, sondern greift sie teils mehrere hundert Seiten später wieder aus der Sicht einer anderen Figur auf. Damit war häufig kein Informationsgewinn verbunden, sodass ich mich fragte: Welche Berechtigung hat die erneute Schilderung an dieser Stelle? Dieses erzählerische Vorgehen ist wohl einer der Gründe für die mit über 700 Seiten beträchtliche Länge von Der größte Spaß, den wir je hatten.

Viele Fässer aufgemacht – wenige geschlossen

Als störend empfand ich, dass viele gesellschaftliche Themen in Nebensätzen eingestreut wurden, dann aber keine weitere Behandlung erfuhren und auch keine Erklärungsansätze für das Handeln der Figuren boten. Das größte dieser Themen war die sich in den Figuren Marilyn und Violet ausdrückende Unvereinbarkeit eines feministischen Selbstbildes und seiner Vereinbarkeit mit dem Familienalltag. Marilyn brach ihre Collegeausbildung aufgrund der ersten Schwangerschaft ab, obwohl sie zuvor als selbstständige, unabhängige Feministin beschrieben wurde. Letzteres fand in der Geschichte aber keinen Widerhall mehr und sollte wohl nur ihre wechselnden Liebschaften im Jugendalter erklären.

Dass Marilyn dann „aus Rache“ für einen Streit einseitig auf Verhütung verzichtet, passt auch absolut nicht zu dem Bild, das Lombardo hier von ihrer Figur zu zeichnen versucht. Die Intention der Autorin, plastische Figuren mit inneren Widersprüchen zu schaffen, ist erkennbar, blieb letztlich aber unausgegoren.

Bei Violet prallen die Unvereinbarkeit ihres Anwältinnendaseins mit ihrem Anspruch ans perfekte Muttersein aufeinander, weshalb sie ihren Job aufgab. Wie sie dieser Konflikt prägt und sich in ihren Handlungen ausdrückt, war aber nicht auszumachen.

Der größte Spaß, den wir je hatten 2

Wo liegt denn eigentlich das Problem?

Insgesamt verfiel ich bei Der größte Spaß, den wir je hatten immer wieder auf die Frage: „Wo liegt den hier eigentlich das Problem?“. Bis auf die vom Schicksal gebeutelte Wendy und Adoptivsohn Jonah hat keine der Figuren mit wirklich dramatischen Lebenssituationen zu kämpfen – im Gegenteil, vieles plätschert jahrelang vor sich hin und trotzdem sind am Ende alle unzufrieden.

Einmal versucht Wendy den Finger darauf zu legen, indem sie behauptet, ihre Eltern würden sich gegenseitig mehr lieben als ihre Töchter. Deshalb seien alle so verkorkst. Dieser Ansatz bleibt für mich unbefriedigend, weil ich wenige der Figuren als tatsächlich als pathologisch verkorkst empfand und auch weil dieser Gedanke wieder nicht zu Ende geführt wird.

Erfolglose Skandalisierung

Beim Lesen festigte sich zunehmend mein Eindruck, dass Lombardo immer wieder versucht – aus meiner Sicht völlig normale – Umstände zu skandalisieren. So spricht eine der Schwestern gegenüber einem Außenstehenden von ihren „unzähligen Schwestern“ und meint damit die restlichen drei. Das konnte ich nicht wirklich ernst nehmen. Beispielhaft für weitere ist auch eine Passage, in der die jüngste Tochter Grace auf ihr – aus ihrer Sicht misslingendes – Leben blickt und sich mit ihren (vermeintlich) traumatischen Kindheitserinnerungen auseinandersetzt:

„Manche Episoden waren weniger harmlos. […]

Sie erinnerte sich daran, wie sie ihre Mutter einmal auf der Hintertreppe mit einer Zigarette angetroffen und gefragt hatte: ‚Wer hat dir die gegeben, Mama?‘, worauf ihre Mutter die Zigarette ausgedrückt und geantwortet hatte: ‚Mach dir keine Gedanken darüber, Schatz, komm, setz dich zu mir.‘“

S. 544

Als fast schon lächerlich empfand ich, dass Lombardo für die als skandalös präsentierten Familienverhältnisse – ja, der Roman handelt immer noch von dem seit dreißig Jahren liebevoll verheirateten Paar aus Arzt und Hausfrau mit ihren vier Töchtern – dann auch noch Erklärungsansätze anbot. Die Mutter Marilyn stammt aus einer irisch-katholischen Familie, deshalb bekommt sie in ihren Zwanzigern und Dreißigern diese „unzähligen“ vier Töchter.

Tatsächlich haben die Protagonisten David und Marilyn auch nach vier Kindern immer noch Sex und tauschen sogar vor ihren Töchtern Küsse aus – schon ein zu enges Beieinanderstehen in der Küche wird in diesem Roman als aufsehenerregend und als potenziell dazu geeignet, die Kinder zu traumatisieren skandalisiert.

Dafür war ich als Leserin entweder nicht prüde oder nicht empörungsbereit genug.

Fazit

Der größte Spaß, den wir je hatten von Claire Lombardo blieb für mich eine seltsam ungare, überlange Aneinanderreihung familiärer Episoden, bei der bis zum Schluss kein roter Faden auszumachen war. Leider keine Empfehlung.


Claire Lombardo, Der größte Spaß, den wir je hatten, OT: The Most Fun We Ever Had, aus dem amerikanischen Englisch von Sylvia Spatz, dtv 2019, 720 Seiten.

Weitere Rezensionen zu Der größte Spaß, den wir je hatten

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2 Gedanken zu „[Roman] Claire Lombardo: Der größte Spaß, den wir je hatten (2019)

  1. Das klingt ja wirklich unausgegoren und nicht authentisch. Gerade die künstliche Dramatisierung harmloser Momente und dass ein sich nach Jahrzehnten noch immer liebendes Ehepaar (was ja etwas Wundervolles ist) als skandalös und gar traumatisierend dargestellt wird, ließ mich gerade sehr irritiert zurück.

    Ich stand auch schon häufiger vor dem Buch und bin nun froh, dass mein Bauchgefühl mich davon abhielt, es mitzunehmen.

    1. Der Roman wirkte auf mich auch sehr unrund. Dabei wurde der 30-jährigen Autorin in einigen Besprechungen besondere Reife zugesprochen, insbesondere wohl für die Schilderung der langjährigen Ehe der Protagonisten. Der Titel ist sehr ansprechend gewählt, finde ich, aber darin hat sich für mich der Roman auch erschöpft. Da er sehr umfangreich ist, kann man seine Lesezeit wirklich besser verbringen.

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