[Sachbuch] Alix Paré und Valérie Sueur-Hermel: The Fantastic Gustave Doré (2023)

Kurzum: Ich bin begeistert.

Gustave Doré

Wer hin und wieder einen Klassiker liest, wird unweigerlich irgendwann auf Gustave Doré (1832-1883) stoßen – denn er hat sie (fast) alle illustriert. Zuerst wurde ich auf seine bekannten Illustrationen von Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ aufmerksam. Fantasievoll und düster fügen sie den Zeilen Alighieris eine eigene Bedeutungsebene hinzu und laden fast zu längerem Verweilen als der Text selbst ein. Gebraucht konnte ich dann eine zweibändige Ausgabe von Don Quijote mit Dorés Illustrationen ergattern. Weniger düster, manchmal humoristisch bereichern sie auch dieses Werk und sind ein wahres Schmuckstück im Bücherregal.

Daher freue ich mich, dass mit „The Fantastic Gustave Doré“ von Alix Paré und Valérie Sueur-Hermel jetzt eine wunderbare Retrospektive seines Werkes vorliegt. Die Hinführung zum Künstler und seinem Werk auf den ersten Seiten gelingt mit einer anschaulichen Zeittafel und doppelseitiger Fotografie eines sinnierenden Doré. Mit dem dreifarbigen, reliefbedruckten Buchcover und dem Farbschnitt ist diese Sammlung nicht nur ein echtes Schmuckstück im Bücherregal, sondern versammelt nachvollziehbar gegliedert in vier Teile die bekanntesten und prägendsten Werke Gustave Dorés.

Gustave Doré and Printmaking

Im ersten Teil des Buches „Gustave Doré and Printmaking“ gelingt es durch detaillierte Zeichnung verschiedener Druckmaschinen die sich im Laufe der Jahrhunderte verändernden Drucktechniken darzustellen. Ausführliche Schritt-für-Schritt-Erklärungen zeigen, wie etwa Lithografien gefertigt und gedruckt werden und fügt gleich einige bekannte Beispiele aus Dorés Werken an. Gleiches findet sich für Radierungen und Holzschnitte. Die kurzen, prägnanten Begleittexte ermöglichen ein besseres Verständnis der Techniken, ohne sich in Details zu verlieren.

Gustave Doré the Illustrator

Den weitaus größten Teil des Buches nimmt die Arbeit Gustave Dorés als Illustrator ein. Hier stellen die Autorinnen Dorés Arbeiten anhand einer Einteilung in verschiedene Literaturgattungen vor.

Romane

Dieses Kapitel nimmt die Illustrationen Dorés in den fünf Romanen „Atala“, „Pantagruel und Gargantua“ den „Droll Stories“ von Balzac, „Don Quixote“ und „Captain Fracasse“ von Gautier in den Blick. Da sich einige davon auch auf meiner 150-Klassiker-Leseliste finden, bietet sich hier noch eine Gelegenheit, mehr von den Illustrationen Gustave Dorés zu sehen. Die literarischen Werke unterscheiden sich stark voneinander und zeigen, wie es Doré gelang, sowohl Dramen als auch Liebesgeschichten und komische Passagen gleichermaßen passend zu illustrieren.

Gedichte

Auch die Illustrationen von sieben bekannten (epischen) Gedichten wie jene von John Miltons „Paradise Lost“, Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ oder Edgar Allan Poes „Der Rabe“ werden vorgestellt. Die feinen und detaillierten Zeichnungen zu „Paradise Lost“ und der „Göttlichen Komödie“ gehören mit ihren zahlreichen fantasievollen Darstellungen geflügelter Engel, Fabelwesen und dem effektvollen Einsatz von Hell und Dunkel klar zu meinen Favoriten.

Gustave Doré: Paradise Lost, Detail aus "Satan convulses, grimacing on the ground"
Gustave Doré in Paradise Lost, Detail aus „Satan convulses, grimacing on the ground“
Sagen und Fabeln

Die große Vorstellungskraft des Künstlers zeigt sich auch bei den sechs Sagen und Fabeln, darunter der Baron Münchhausen und Sindbad der Seefahrer. Die ausgewählten Illustrationen schwanken zwischen sehr grob gehaltenen, mit wenigen Strichen skizzierten Bildern und detaillierten Szenen, in denen insbesondere architektonische Details hervorragend zu erkennen sind.

Altes und Neues Testament

Einen besonderen Platz unter den Illustrationen nimmt die Bebilderung der Bibel ein. In Altem und Neuem Testament fand Gustave Doré zahlreiche Inspirationen für weitläufige Landschaften, fantastische Szenen, himmlische Erscheinungen und dramatische Ereignisse.

Gustave Doré in Altes Testament, Detail aus Noah´s Ark
Gustave Doré in Altes Testament, Detail aus „Noah´s Ark“
Kriege

Alix Paré und Valérie Sueur-Hermel nehmen auch die Illustrationen zu drei Kriegs(reihen), namentlich dem Krimkrieg (1853-1856), den Italienischen Unabhängigkeitskriegen im 19. Jahrhundert und zu mehreren Kreuzzügen vom 11. bis zum 13. Jahrhundert mit auf. Die dargestellten Szenen zeigen meist epische Schlachten zu Pferd. Zusätzlich finden sich auch Detailszenen einzelner Kriegshandlungen. Die dargestellten Szenen empfand ich nicht brutaler als die teils schon recht drastischen Darstellungen der vorangehenden biblischen Szenen. Interessant sind bei den Illustrationen der Kriegsszenen insbesondere die Detailtreue hinsichtlich der dargestellten Schauplätze und Rüstungen sowie des verwendeten Geräts. Inwieweit die Darstellungen historisch akkurat und inwieweit künstlerischer Freiheit entspringen, darauf gehen die Autorinnen an dieser Stelle nicht ein.

Reiseberichte

Gustave Doré selbst unternahm für seine Zeit ausgedehnte Reisen. In den vier ausgewählten illustrierten Reiseberichten, darunter von William Blanchard Jerrold über London und Hippolyte Taine über die Pyrenäen, bebildert Doré jedoch auch Landschaften, die er selbst nie mit eigenem Auge gesehen habe dürfte. Dabei porträtieren die von den Autorinnen ausgewählten Illustrationen tatsächlich nur wenige Landschaften, sondern legen ihr Augenmerk auf die Bewohner des jeweiligen Landstrichs. Wie auch in den Bebilderungen der fantastischen Werke finden sich viele Massenszenen mit fein ausgearbeiteten Figuren, darunter durchaus sozialkritisch zu verstehenden Szenen wie die Darstellungen von Gefangenen in einem engen Gefängnishof oder zerlumpter Familien in Armenvierteln.

Gustave Doré the Caricaturist

Bereits im Alter von 17 Jahren begann Gustave Doré Karikaturen für „Le Journal Pour Rire“ zu zeichnen und blieb dem Blatt über mehrere Jahre hinweg treu. Dabei nahm er insbesondere seine Pariser Mitbürgerinnen und Mitbürger aufs Korn.

Gustave Doré the Painter

Das letzte Kapitel stellt 22 Werke von Gustave Doré als Maler vor. Durch den großformatigen und farbigen Abdruck auf Einzel- oder Doppelseiten kommen sie großartig zur Geltung. Die Beschreibungen und Interpretationen der Autorinnen bleiben auch hierbei angenehm kurz, prägnant und lassen die Bilder für sich sprechen. Wichtige Daten und Zahlen wie etwa Größe, Entstehungsjahr und Ausstellungsort der Bilder finden sich unaufdringlich in der Kopfzeile der Seite und unter dem Werktitel.

Gustave Doré, Detail aus "Christ leaving the Praetorium", 1867-1872
Gustave Doré, Detail aus „Christ Leaving the Praetorium“, 1867-1872
Fazit

Als sehr positiv empfand ich, dass Alix Paré und Valérie Sueur-Hermel die Werke Gustave Dorés ganz klar in den Vordergrund ihrer Retrospektive rücken. Keine langatmigen kunsthistorischen Analysen, keine weit hergeholten Interpretationen – stattdessen nehmen die Autorinnen sich zurück und betten die Bilder durch eine klare Gliederung und Anordnung, kurze Begleittexte und informative Grafiken zu den Herstellungsmethoden in einen für die Leserin nachvollziehbaren Kontext. Die hervorragende Druckqualität, die Papierwahl und der Umfang des Werkes, bei dem auf nahezu 500 Seiten die Bilder Dorés ganz- oder doppelseitig und teils in Farbe zur Geltung kommen, sprechen für sich. Gerade die angenehm zurückgenommene Bearbeitung durch die Autorinnen und Doré-Kennerinnen macht diese Retrospektive zu einem großartigen Leseerlebnis. Kurzum: Ich bin begeistert.

 


Alix Paré und Valérie Sueur-Hermel, The Fantastic Gustave Doré (OT: Fantastique Gustave Doré), Prestel Verlag 2023, Hardcover (engl.), Halbleinen, 480 Seiten, 23 farbige Abbildungen, 380 s/w Abbildungen, mit 3D-Prägung und drei verschiedenen Folienprägungen auf der Covervorderseite und Rücken; Banderole mit Prägungen, Farbschnitt mit Buchtitel, Prestel Verlag 2023, 59 EUR. Das Werk liegt derzeit nur in englischer und französischer Sprache vor.

 

Wissenstipp!: Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts

 

Weitere Meinungen zum Buch bei

Michael Meyns in „die zukunft“

Alf Mayer in Culturmag

Gesamtansicht des Buches (Link zu youtube)

Alix Paré présente „Fantastique Gustave Doré“ (französisch, Link zu youtube)

Ein Gedanke zu „[Sachbuch] Alix Paré und Valérie Sueur-Hermel: The Fantastic Gustave Doré (2023)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben