Auf die Jugendbuch-Trilogie „Children of the Famine“ (dt. „Sturmkinder. Eine irische Familiensaga“) der irischen Schriftstellerin Marita Conlon-McKenna machte mich die Online-Community Reddit aufmerksam. Im Rahmen der Aktion „Read around the World“ Ireland standen für mich drei irische AutorInnen zur Auswahl. Da ich gerade sowieso die Leserunde zu Willa Cathers Pionierroman „My Ántonia“ über das Sesshaft werden europäischer Einwanderer im Mittleren Westen der USA verfolgte, wollte ich nun auch wissen, welche Gründe die Europäerinnen und Europäer konkret zum Auswandern bewogen hatten. Die große Hungersnot in Irland zwischen 1845 und 1849 war einer davon.
Die Reihe besteht aus den drei Bänden
- Under the Hawthorn Tree (dt. „Folgt immer dem Fluss“)
- Wildflower Girl (dt. „Aufbruch nach Amerika“)
- Fields of Home (dt. „Endlich ein Zuhause“).
1. Under the Hawthorn Tree (1990)
Die drei Geschwister Eily, Michael und Peggy, verlieren ihre Eltern an die Hungersnot. Die zwölfjährige Eily führt ihre jüngeren Geschwister auf einer wochenlangen Reise durch das gebeutelte Irland, um ihre Großtanten, die sie nur aus Geschichten kennen, aufzusuchen. Die Kinder erleben und sehen dabei viel Leid: verhungerte Menschen am Straßenrand, sterbende Kinder, Rudel wilder Hunde und den immerwährenden Hunger.
2. Wildflower Girl
Dieser Band dreht sich um die dreizehnjährige Peggy, die sich allein mit einem Ticket auf die Überfahrt von Irland nach Boston macht. Auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben erkennt sie bald, dass die verarmten irischen Familien auf ihrem Segelschiff kaum besser behandelt werden als Vieh.
Das Ankommen in Boston fällt ihr aufgrund von Heimweh und den schwierigen Arbeitsbedingungen nicht leicht. Doch nach und nach knüpft sie vor allem zu anderen Irinnen Kontakte und beginnt, als Hausmädchen in einem reichen Bostoner Vorort zu arbeiten. Ihre Geschwister vergisst sie dabei nicht und schickt regelmäßig Geld an Eily, die nun selbst mit ihrer Familie eine kleine Farm in Irland bewirtschaftet. Schließlich steht Peggy vor der Entscheidung, erneut alles Bekannte hinter sich zu lassen und weiter in den noch unbekannten Westen zu reisen.
3. Fields of Home
Im abschließenden Buch der Reihe begleiten wir Michael bei seiner Arbeit als Stallbursche und Jockey für die Rennpferde des örtlichen Großgrundbesitzers. Daneben erleben wir durch die Augen von Eilys Tochter Mary-Bridget, wie sehr ihre Familie als Pächter einer kleinen Farm durch die Willkür der britischen landlords ausgebeutet wird und kurz davorsteht, ihr Zuhause zu verlieren.
Meinung
Die „Children of the Famine”-Reihe ist für jüngere Teenager geschrieben, was man auch im Englischen an der verständlichen Sprache und gradlinigen Erzählung merkt. Nichtsdestotrotz ist jedes der Bücher auch für erwachsene Leser fesselnd, denn die zugrundeliegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme werden so hinreichend angedeutet, dass sich mit ein wenig Recherche ein erschreckendes Bild von der Situation der irischen Landbevölkerung Mitte des 19. Jahrhunderts ergibt.
Nach der Lektüre las ich z. B., dass sich bis etwa 1900 der größte Teil Irlands in den Händen (meist englischer) Großgrundbesitzer befand und etwa zur Zeit der Romane 97% des Landes an Kleinpächter vergeben worden sei. Der Großteil der Bevölkerung hatte keine Aussicht darauf, das bewirtschaftete Land jemals erwerben zu können und der Missbrauch der Pachtverträge durch die englischen landlords sowie die zusätzlich zu entrichtenden Steuern führten im 19. Jahrhundert zu einer massenhaften Auswanderung der irischen Bevölkerung.
Marita Conlon-McKenna nimmt ihre jungen Leserinnen und Leser ernst. Leid und Tod infolge der Hungersnot werden nicht geschönt und auch als Erwachsene musste ich ein ums andere Mal schlucken bei den realistischen – aber nicht effektheischenden – Schilderungen von Sterbenden am Straßenrand. Die politischen Implikationen der Hungersnot und verstärkende Faktoren wie der ungebremste Export von Getreide werden im Rahmen der Handlung angedeutet, aber nicht ausgebreitet.
Downton Abbey
Mit einiger Hintergrundrecherche über die zum Zeitpunkt der Hungersnot völlig verfehlte Laissez-faire-Politik Großbritanniens lässt sich das vehemente Streben der irischen Bevölkerung nach mehr Unabhängigkeit gut verstehen. Als Randnotiz: Die Erinnerung an die Hungersnot muss ein, zwei Generationen später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch präsent gewesen sein. So verstand ich im Nachhinein auch den in der britischen Serie „Downton Abbey“ angelegten Konflikt bzgl. der irischen Unabhängigkeitsbestrebungen und der gegenseitigen Abneigung besser.
Trotz des harten Themas sind die Romane hoffnungsvoll. Sie zeigen, wie die jungen Protagonisten aus ihrer eigenen Stärke heraus gemeinsam Schwierigkeiten überwinden und ihr eigenes Glück suchen.
Geschlechterrollen in der Children-of-the-Famine-Trilogie
Ein Problem, das jüngeren Lesern vielleicht nicht unbedingt ins Auge springt und wohl auch Anfang der 1990er Jahre zum Erscheinen der Romane nicht breitflächig diskutiert wurde, ist die Parentifizierung der zwölfjährigen Eily. Als älteste Tochter nennt die Mutter sie „little mother“ und trägt dem Mädchen auf, sich mütterlich um die jüngeren Geschwister zu kümmern. Nicht nur in Abwesenheit der Mutter, sondern auch sonst muss die Zwölfjährige als Vorbild herhalten, sich kümmern und die Geschwister erziehen.
Dabei ist sie verständlicherweise von Selbstzweifeln geplagt, zugleich aber auch stolz auf die Rolle, die ihr die Mutter zuerkennt. Dass die Erziehung ihrer Geschwister nicht zu den Aufgaben eines zwölfjährigen Mädchens gehört, wird nicht einmal angedeutet. In Anbetracht der desaströsen Situation der Familie stand wohl auch das seelische Wohlergehen der einzelnen Mitglieder nicht an erster Stelle.
Im zweiten Buch lernt der Leser die fünfzehnjährige Sarah kennen, die gemeinsam mit ihren beiden älteren Brüdern nach Boston emigriert. Nach langen Tagen unter katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Nähfabrik kümmert sie sich noch um den Haushalt und kocht und putzt für ihre beiden älteren Brüder. Obwohl thematisiert wird, dass Sarah völlig ausgelaugt und krank wirkt, wird die (nicht stattfindende) Arbeitsteilung zwischen den Geschwistern anhand traditioneller Geschlechterrollen als unverrückbare Wahrheit dargestellt. Das zeigt sich insbesondere daran, dass der Umgang der Brüder mit Sarah die junge Peggy nicht davon abhält, sich der Familie anschließen zu wollen.
Fazit
Jedes Buch der Jugendbuch-Trilogie „Children of the Famine“ war gleichermaßen spannend und kurzweilig. Die Bücher lesen sich wunderbar an einem Tag durch und geben einen ungeschönten Einblick in die Lebensrealität junger Irinnen und Iren zur Zeit der Großen Hungersnot. Eine Empfehlung nicht nur für jüngere Leser.
Marita Conlon-McKenna, Children of the Famine-Trilogie (1990–1996), dt. Sturmkinder. Eine irische Familiensaga, antiquarisch erhältlich.
Weitere Meinungen zu Children of the Famine von Marita Conlon-McKenna bei
Pretty Purple Polka Dots (englisch)
Forever Young Adult (englisch)
Interessant, dass du Parentifizierung erwähnst. Man sollte meinen, so etwas gäbe es heute nicht mehr. Aber ich höre gerade ein Memoir einer Frau, die einer der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen in den USA entkommen ist, und sie berichtet genau über dieses Phänomen, über Staying-at-home daughters, die keine weiterführende Bildung verfolgen, sondern in ihrem Elternhaus bleiben und die jüngeren Geschwister versorgen (und damit überfordert sind), bis der von Gott (bzw. dem Vater) erwählte Ehemann auf der Bildfläche erscheint. Sie war selbst eine von ihnen (das Memoir heißt „Rift: A Memoir of Breaking Away from Christian Patriarchy“ von Cait West).
Aber, um zum Thema zurückzukommen, die Irish Potato Famine ist ein wirklich entscheidendes Thema in der Geschichte Irlands, interessiert mich auch sehr.
P.S. Hab mich oben etwas zu drastisch ausgedrückt – in der Gemeinde von Cait West wurden Töchter nicht zu einer Ehe gezwungen, aber der Vater muss schon der „Courtship“ zustimmen.