Vor einem Monat habe ich Emily Fridlund „Eine Geschichte der Wölfe“ beendet. Die Bewertung ist schwieriger als anfangs erwartet und immer noch schwanke ich in meiner Meinung zwischen „typischer US-Autorenschmiede-Roman mit zu wenig Tiefgang“ und „solide Geschichte mit guten Ansätzen“. Rundum begeistern konnte mich das Werk nicht.
Emily Fridlunds Geschichte der Wölfe
Eine fünfzehnjährige Außenseiterin wird in der Einsamkeit der Seen Minnesotas zur Babysitterin bei der neu zugezogenen Nachbarsfamilie. Das Verhalten des ungleichen Elternpaares und seines vierjährigen Sohnes wird immer merkwürdiger, bis der Junge schließlich krank wird – und es die Eltern nicht sonderlich zu interessieren scheint. Eine Geschichte über die fatalen Folgen absoluter religiöser Ansichten.
Trostlos wirkt das Leben der fünfzehnjährigen Madeline. Als letztes Überbleibsel einer Hippie-Kommune lebt sie mit ihren Eltern am Rand eines der großen Seen Minnesotas. Die Schule hat sich nach dem Weggang ihres Lieblingslehrers verändert – vor allem, seit bei ihm kinderpornografische Bilder gefunden wurden. Da kommt die Ablenkung durch die junge Mutter auf der anderen Seite des Sees gerade recht. Doch auch in dieser Familie geht nicht alles mit rechten Dingen zu: Die junge Mutter Patra wirkt seltsam überspannt, dem älteren Leo fast hörig. Der wiederum befindet sich in der Wahrnehmung des Lesers irgendwo zwischen verstocktem Wissenschaftler und bedrohlichem Fanatiker.
Etwas Ungutes braut sich in diesem Buch zusammen, das wird schnell klar. Die Atmosphäre in dem kleinen Ort ist erdrückend, die langen Wege, die Einsamkeit, vielleicht auch die Tristesse sind für einen Teenager schwer zu ertragen. Madeline bringt es auf den Punkt: Wenn du schlau bist, gehst du weg. Und wenn du nicht schlau bist, aber hübsch, wirst du schwanger und heiratest einen Typen, der dann zur Army geht.
Die Figuren
Madeline sucht Zuflucht in der Natur und stellt grundsätzlich nicht viele Fragen. Übergriffigkeiten anderer Figuren nimmt sie meist wortlos hin, wirkt anlehnungsbedürftig, dann wiederum kommt sie überraschend angriffslustig, fast aggressiv daher. Das Mädchen beobachtet das ungleiche Nachbarspaar ohne groß zu werten. Die Autorin gibt ihr einige Eigenheiten mit; der numerische Aberglaube kommt dabei allerdings auf den ersten Blick wie ein offensichtlicher Kniff aus der Schreibschule daher.
Die Figuren in Fridlunds Roman sind schwierig. Fast alle wirken unangenehm und erschaffen gemeinsam die beengende Atmosphäre des Ortes. Die Naturbeschreibungen dagegen sind großartig und mehr als einmal habe ich die erwähnten Orte auf der Karte gesucht und mich in Bildern der beeindruckenden Landschaft verloren. Auch diese Seite fängt Fridlund ein. Das Buch bietet einen starken Kontrast zwischen der großartigen Natur und den Menschen darin.
Das Fazit
Nach den vielen Sekten-Aussteiger-Büchern, die meinen Leseweg pflastern, kamen mir die „Christian Science“-Aspekte und die dahinter liegende Philosophie, dass es nicht wichtig ist, was man tut, sondern allein, was man denkt, schlicht zu kurz. Deshalb sind die Empfehlungen der Autorin zu vertiefender Literatur gleich auf meine Liste gewandert. Auch hätte ich mir eine stärkere Ausarbeitung der Beziehung zwischen den beiden Eltern gewünscht: Warum hat Patra Angst davor, sich gegenüber ihrem Mann durchzusetzen? Oder wollte sie es gar nicht, weil sie auch von der Lehre der „Christlichen Wissenschaftler“ überzeugt war?
Ich empfand die Auflösung als vorhersehbar und hätte mir deshalb gewünscht, dass Dynamik innerhalb des Paares genauer beleuchtet wird. Für ein typisches „Sektenbuch“ steigt Fridlunds Roman nicht tief genug ein. Daher ist er eher eine Empfehlung für alle, die sich von der Atmosphäre tragen lassen wollen, auch mit schwer zugänglichen Figuren klar kommen und Bücher wie „Winter’s Bone“ oder „Der letzte beste Ort“ mochten.
Emily Fridlund, Eine Geschichte der Wölfe (OT: History of Wolves, aus dem Englischen von Stephan Johann Kleiner), Piper 2018.
Weitere Stimmen zum Buch:
Frau Hemingway
Zeichen und Zeiten
Buch-Haltung
Einen ausführlichen Artikel zum Genre Country Noir gibt’s bei Der Schneemann.
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Callan Wink – Der letzte beste Ort. Stories
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Caroline Fraser – God’s Perfect Child. Living and Dying in the Christian Science Church
Danke für die tolle Rezi!
Ich habe das Buch ja schon mehrmals irgendwo gesehen, aber das Cover hat mich nicht dazu gebracht, mich für den Inhalt zu interessieren. Jetzt finde ich es definitiv interessant, auch wenn du es jetzt nicht restlos begeistert bist. Ich kann deine Kritikpunkte gut nachvollziehen.
Liebe Grüße, Lana
Danke für das Lob. Das Buch ist auf jeden Fall interessant und das Genre Country Noir eine echte Entdeckung, wenn man solche Geschichten mag. Viele waren ja auch von dem Buch begeistert; ich habe gesehen, dass es für den Man Booker-Preis nominiert war. Vielleicht gefällt es dir besser!
Viele Grüße
Jana
Hab vielen lieben Dank für die Verlinkung! <3
Sehr gerne! Hab später gesehen, dass wir uns für ein ähnliches Arrangement beim Fotografieren des Buches entschieden haben – passt aber auch sehr gut zum Inhalt. Viele Grüße!