Polizeigewalt, versagende Sozialeinrichtungen, Verschwörungstheorien, Kindesmissbrauch – als Sozialarbeiter hat Pete in den unzugänglichen Wäldern Montanas eine Menge zu tun. Der Staat ist schwach im entlegenen Yaak-Gebiet und seine Bewohner sind misstrauisch. Nur langsam gewinnt Pete das Vertrauen der oft zerrütteten Familien. Besonders fasziniert ihn der eigenwillige Jeremiah Pearl, der mit seiner Familie in den Wäldern lebt und die Flinte auf jeden anlegt, der ihm zu nah kommt. Doch ist der Mann auch eine Gefahr für seine Kinder?
Beth, ich habe ein Alkoholproblem
Der Leser begleitet den Sozialarbeiter Pete bei der Inobhutnahme von Kindern, deren Eltern sich aufgrund von Alkohol- und Drogenmissbrauch, extremer Armut oder auch religiösem Wahn nicht um sie kümmern. Das sind keine schönen Geschichten und für den Leser ist es daher nicht schwer nachzuvollziehen, dass auch der Protagonist Pete sich nach solchen Aktionen oft bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt. In den gottverlassenen Orten des Buches ist das zwar sozial akzeptiert, macht die Sache aber nicht besser. Als eines Tages seine gerade 13-jährige Tochter wegläuft und sich auf der Straße durchschlägt, gerät auch Petes mühsam zusammengehaltenes Leben aus der Bahn. Es ist an Hellsichtigkeit nicht zu überbieten, wenn er gegenüber seiner Ex-Frau feststellt:
Beth, ich habe ein Alkoholproblem. Und du auch. Leuten wie uns nehme ich die Kinder weg.
Einige wenige Male schießt Henderson über das Ziel hinaus; insbesondere die Schilderungen zu Petes Tochter und deren Erfahrungen als Straßenkind sind gelinde gesagt drastisch und auch beim Lesen von Marys Gewalterfahrungen beschleicht einen das Gefühl, Voyeurismus zu betreiben.
Absolute Freiheit
Henderson zeichnet in Montana Lebensentwürfe, die von absolutem Freiheitsstreben und großem Misstrauen gegenüber staatlicher Gewalt geprägt sind. Dass jeder hier eine Waffe besitzt, lässt die Situation oft eskalieren. Gepaart mit religiösem Wahn und Fantasien eines Rassenkrieges gerät man hier in ein Milieu, das unsympathischer nicht sein könnte. Hätte Donald Trump bereits in den 1980er Jahren kandidiert – die Figuren dieses Buches hätten ihn gewählt. Wenn sie Wahlen nicht sowieso für eine groß angelegte zionistische Weltverschwörung halten würden. Es gibt Figuren, die sich dem entgegenstellen, die ihren Beitrag leisten wollen: Pete als Sozialarbeiter, der örtliche Richter, die Pflegefamilie Cloninger. Doch auch sie sind letztlich nur ein Produkt ihrer Umstände und fügen sich ins große Bild einer abgehängten – oder nie angeschlossenen – Region ein.
Fazit
Smith Henderson entwirft in Montana ein Panorama der Hoffnungslosigkeit vor dem Hintergrund der beeindruckenden nordamerikanischen Bergketten und liefert einen Beitrag zum Verständnis des zerrissenen Landes. Das ist finsterste Country Noir und sehr sehr lesenswert.
Smith Henderson, Montana (aus dem Englischen von Walter Ahlers, Sabine Roth; OT: Fourth of July Creek), btb Verlag 2018, 608 S., 12€, ISBN-13: 978-3442715947.
Andere Stimmen zum Buch:
Feiner Buchstoff
Buchperlenblog
Das könnte dir auch gefallen:
Callan Wink – Der letzte beste Ort. Stories
Lize Spit – Und es schmilzt
Emily Fridlund – Eine Geschichte der Wölfe
Herzichen Dank für die Verlinkung! LG, Bri
Sehr gern!
Der Roman hat mir sehr gut gefallen. Viele Grüße
Wie schön, ich empfehle ihn zur Zeit auch immer mal wieder weiter. Ebenso viele Grüße!
du hast mich neugierig gemacht… nach der Lektüre von Nickolas Butler und Hannah Tinti scheint es das Leben in der Nordamerikanischen Provinz noch tiefer zu beleuchten..