Die Farbe Lila: Dunkel erinnere ich mich an den Film und die großen Emotionen, die er hervorrief. Jetzt habe ich Alice Walkers „Die Farbe Lila/The Color Purple“ gelesen und staune immer noch über dieses unerwartet facettenreiche, feministische Fundstück.
Inhalt
Die 14-jährige Celie wird von dem Mann vergewaltigt, den sie „Pa“ nennt. Ihre Mutter ist tot, die beiden Kinder, die sie gebärt, werden ihr weggenommen. Als sie für „Pa“ zu alt wird, präsentiert er sie wie ein Stück Vieh und verheiratet sie mit dem viel älteren Albert. Der und seine verwahrloste Kinderschar machen Celie das Leben zur Hölle. Erst mit Shug Avery, Alberts ehemaliger Freundin, die zwischenzeitlich eine glamouröse Sängerin geworden ist, kommt wieder Farbe in Celies Leben. Sie verliebt sich in die selbstbewusste Frau und erträgt so Jahrzehnte der Trennung von ihrer geliebten Schwester Nettie, die als Missionarin in Afrika lebt. Durch die Briefe der beiden lernt der Leser Frauen kennen, die auch unter den widrigsten Umständen Rassismus und Gewalt die Stirn bieten.
Von „Die Farbe Lila/The Color Purple“, die ich bislang nur durch die Spielberg-Verfilmung mit Whoopi Goldberg und Oprah Winfrey kannte, ist mir in den vergangenen Jahren nur die Gewalt in Erinnerung geblieben, die Celie (ihren Namen hatte ich zwischenzeitlich sogar wieder vergessen) durch die Männer in ihrem Umfeld erfährt. Ich war überrascht, wie viel mehr, wie viel Positives, Walker in ihrem Roman thematisiert.
Solidarität
Walker entwirft das Bild einer wordwide sisterhood, einer Geisteshaltung, die Frauen über die Kontinente hinweg vereint und sie nach Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung streben lässt. Männer spielen hierbei als unterstützende Partner eine Rolle, sind aber nicht notwendig, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Entscheidend ist die Solidarität der Frauen untereinander, die durch fehlende Bildung, patriarchalische Strukturen, Rassismus und Gefühle wie Eifersucht und Neid auf die Probe gestellt wird.
Sexualität
Daneben werden Homosexualität und Polyamorie (oder zumindest sehr kurz aufeinander folgende Beziehungen) wie selbstverständlich gelebt. Das hat mich in Anbetracht des extrem konservativen Umfeldes (Georgia bis zum zweiten Weltkrieg) und der größtenteils gelebten Kirchentreue erstaunt. Walker erklärt sich hier nicht; bis jetzt frage ich mich, ob sie das tatsächlich Mögliche oder das Wünschenswerte abbilden wollte.
Sklaverei
Dass die Sklaverei in den Südstaaten weit über ihr Verbot 1865 in den Köpfen verankert blieb, wird in „Die Farbe Lila/The Color Purple“ sehr deutlich. Die Figur Sofia, die vom Bürgermeister geohrfeigt wird, kurzerhand zurückschlägt und misshandelt im Gefängnis landet, bedient diese Thematik. Sofia wird später übrigens die „Gnade“ zuteil, ihre Strafe direkt im Haus des Bürgermeisters als Kindermädchen und Haushälterin zu verbüßen. Ihre eigenen Kinder sieht sie jahrelang nicht.
Auch Celies Situation, die erst unter „Pa“, dann unter Albert leidet, erinnert an die Geschichte einer Sklavin. Völlig rechtlos, misshandelt und ohne eigenes Geld, arbeitet sie rund um die Uhr bis zur Erschöpfung. Nur, um abends noch vergewaltigt zu werden.
Ein erster Lichtblick war da der „Rat“ aus Sofias Freunden und Verwandten, der sich zusammenfindet, um sie aus dem Gefängnis zu befreien. Erstmals heißt es nicht mehr Männer gegen Frauen, sondern es entsteht ein „Wir gegen die (weißen) Unterdrücker“-Gefühl.
Auf der anderen Seite erfährt Nettie in Afrika, dass die Vorstellung einer weltweiten Solidarität unter People of Color schwer umsetzbar ist. Sie verzweifelt an der sturen Weigerung der Ureinwohner, anzuerkennen, dass sie es waren, die ihre Brüder und Schwestern ehemals in die Sklaverei verkauften oder sich zumindest mitschuldig machten. Auf diesen letzten Punkt bin ich bislang nicht einmal in einem Sachbuch zur Geschichte des Rassismus‘ in Amerika gestoßen, und bin gespannt, was sich hierzu recherchieren lässt.
Emanzipation
Celie selbst emanzipiert sich am Ende schließlich von dem Elend, in das sie hineingeboren wurde. Andere Frauenfiguren gehen Celie voran, erstreiten sich das Recht, bei ihrem Geburtsnamen genannt zu werden (Mary Agnes) oder haarsträubende rassistische Ungerechtigkeiten zu benennen (Sofia gegenüber ihrem weißen Zögling, dem sie jahrelang als prison-maid gedient hat).
Als Celie sich zum ersten Mal traut, Albert richtig die Meinung zu sagen, hätte ich fast laut gejubelt. Sie erlangt zuerst geistige, dann wirtschaftliche und schließlich auch emotionale Unabhängigkeit, indem sie ihr Glück nicht mehr vom Wohlwollen ihrer Freundin Shug abhängig macht. Dadurch, dass Walker ihre Protagonistin dem Ehemann und Peiniger Albert schlussendlich ohne Hass ins Gesicht blicken lässt, verleiht sie ihr fast übermenschliche Kräfte.
Kritik an „Die Farbe Lila“
Celies übermenschliche Beherrschung und ihre Großmütigkeit Albert gegenüber taugen fast dazu, die Figur unglaubwürdig werden zu lassen. Ich habe gelesen, dass Walker diesen Eindruck abmildern wollte, indem sie Celie häusliche Gewalt gegen Sofia gutheißen lässt. Doch ob dieser Fehler – den Celie später bitter bereut – tatsächlich aus ihrem Charakter resultiert, ist zweifelhaft. Eher schien es so, als sei es eine Äußerung, die sie aufgrund ihrer eigenen Gewalterfahrungen tätigt, die ihrem Charakter aber strikt zuwider läuft. Auch von ihrem Plan, Albert umzubringen, ließ sie sich so schnell abbringen, als sei es ihr nicht ernst damit gewesen.
Celie aus „Die Farbe Lila/The Color Purple“ ist damit wohl eine der stärksten, ausdauerndsten und gutmütigsten Protagonistinnen seit Langem und kratzt an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit.
Zunächst hatte ich Probleme mit der Darstellung der Männer in der Geschichte. Alle waren ausnahmslos gewalttätig, egozentrisch, pädophil und/oder faul. Doch dadurch, dass sie Albert und dessen Sohn Harpo eine Wandlung zum Besseren durchlaufen lässt und die mustergültigen Ehemänner und Söhne Samuel und Adam ins Blickfeld rückt, versöhnte mich Walker in diesem Punkt wieder.
Das in Celies Briefen konsequent durchgehaltene Afroamerikanische Englisch war für mich zunächst eine kleine Herausforderung. Aber im Rückblick erwies es sich als Kunstgriff der Autorin: Kaum anders hätte man die die Unfähigkeit, das erlebte Grauen wortreich darzustellen, Celies fehlende Schulbildung und ihren geradlinigen Charakter besser darstellen können, als durch die verknappte, repetitive Sprache mit der ihr eignen Grammatik. Zum Schluss weigert sie sich sogar ausdrücklich, Standardenglisch zu benutzen und bleibt sich so treu.
Zum Schluss
Ich habe öfter gelesen, dass die namensgebende Farbe Lila den Ausbruch aus dem in grauen Lumpen geführten Leben symbolisiere. Oder als etwas Göttliches, das Celie schließlich für sich selbst definiert, interpretiert wird. Mir stand Lila von Anfang an als etwas „Königliches“ vor Augen, königliches Purpur gewissermaßen. Die Frauen in Walkers Roman werden gedemütigt, vergewaltigt, eingesperrt und geschlagen. Sie werden wie Sklavinnen behandelt. Doch ihre Würde verlieren sie nie und befreien sich schließlich aus eigener Kraft. Das ist wahrhaft königlich.
Alice Walker, Die Farbe Lila (OT: The Color Purple), verschiedene Ausgaben.
Das Buch habe ich im Rahmen einer im Juli von 54books organisierten Leserunde auf Twitter gelesen. Weitere Meinungen und Impulse zum Roman finden sich unter dem Hashtag #54readsAW.
Meine Besprechung ist Teil der Aktion #WirlesenFrauen von Eva-Maria Obermann.
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Danke dir für diese Rezension und damit das Aufmerksam machen auf solche Werke! Ein wichtiges Buch, besonders in der heutigen Zeit! Ich werde es auf jeden Fall das nächste Mal bei mir im Buchclub vorschlagen !
Super, das freut mich sehr! Der Film ist auch sehr bekannt; aber das Buch schlägt ihn hinsichtlich seiner Themenvielfalt und feministischen Intention um Längen. Ich hoffe, euch gefällt das Buch!